Ein toter Teddy
Kommissarin Lena-Marie Szymański saß in ihrem Büro, als ihr Vater, Kommissar Zimmermann a.D. am Morgen herein kam. Wie er es gewohnt war, klopfte er nicht an, sondern riss einfach die Tür auf.
»Habt ihr frischen Kaffee aufgebrüht?«, fragte er ohne weitere Begrüßung. »Meine Kaffeemaschine ist zur Reparatur.«
»Meinst du nicht auch, dass es langsam mal Zeit wird, eine neue Maschine anzuschaffen?«, schlug seine Tochter vor. »Wie alt ist das Ding mittlerweile?«
Zimmermanns Gesicht verzog sich.
»Bist du verrückt? Die ist erst dreißig Jahre alt. Es gibt auf der ganzen Welt keine andere Maschine, die so gut Kaffee kocht, als meine. Da haben sich über die Jahrzehnte sämtliche Aromen eingebrannt. Die kann man nicht ersetzen.«
Er seufzte laut, füllte sich eine Tasse und setzte sich.
»Ich vermisse meinen eigenen Kaffee. Eurer ist wenigstens akzeptabel. Schön schwarz, wie ein Kaffee sein muss, so schwarz wie das unendliche Universum um einen herum, wenn man im Leerraum zwischen den Galaxien treibt.«
Er drehte sich zu seinem ehemaligen Assistenten um, den er vor einiger Zeit Lena-Marie vererbt hatte und stutzte.
»Moment mal. Wo ist Schmidt? Und was macht dieses Kind hier?«
Die Kommissarin grinste, stand auf und gesellte sich zu dem vielleicht zehn Jahre alten Mädchen.
»Das ist ein Patenkind Emmi. Sie hat von mir ein paar alte Drei Fragezeichen Hörspiele zu Weihnachten bekommen und interessiert sich jetzt für den Polizeiberuf. Sie möchte wissen, was wir hier bei der Kripo so machen.«
Zimmermann nahm das Mädchen prüfend unters Auge. »Eine Nachwuchspolizistin. So, so. Das kenne ich irgendwoher. Meine Tochter ist auch in meine Fußstapfen gestiegen und macht sich wirklich gut. Was haltet ihr Beiden davon, wenn wir nach draußen gehen und einen Fall lösen? Ich bin mir sicher, dass wir ein gutes Team abgeben und einen Erfolg verbuchen können. Kommt einfach mal mit. Ich habe da schon eine Idee.«
Wohin es ging, sagte der alte Kommissar nicht. Er führte seine Begleiterinnen von der Wache zum nahen Umspannwerk am Perick.
»Seid hier bitte ganz vorsichtig. Dieser Tatort wurde noch nicht von den Kollegen gesichert. Wir sind die ersten, die ihn betreten. Zerstört bitte keine Spuren.«
Lena-Marie sah sich. Verwirrt blickte sie ihren Vater an und zog die Schultern hoch.
»Was soll denn hier sein? Ich sehe gar nichts. Willst du uns auf den Arm nehmen?«
Doch dann begann Emmi zu kichern, die gerade vor einem Busch in die Hocke ging.
»Hier liegt etwas … jemand.«
Das Mädchen nahm ein Paar Gummihandschuhe vom Kommissar entgegen, zog sie sich über die Hände und zog vorsichtig ein paar Äste zur Seite.
»Den armen Teddy hier hat es ganz übel erwischt. Von dem ist nicht mehr viel übrig geblieben.«
Tatsächlich lag das Kuscheltier in mehreren Stücken im Dreck. Der Kopf, die Arme und Beine lagen abgetrennt vom Körper daneben. Das einst weiche Fell war verschmutzt, zerrissen und an unzähligen Stellen durchlöchert.
Lena-Marie sah nun auch unter den Busch und musste grinsen. »Das ist dein Tatort? Dafür hast du uns aus dem Büro geholt? Das ist doch nur ein alter Teddy.«
»Sag nicht sowas, Tante Lena.«
Emmi sah ihre Patin böse an. »Hier ist ein Verbrechen geschehen, das aufgeklärt werden muss. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie traurig ein Kind hier in der Stadt sein wird, dass sein liebstes Kuscheltier verschwunden ist?
Stell dir doch nur mal vor, dein Wuschel, der jede Nacht in deinem Bett liegt, würde nie wieder auftauchen.«
Die Kommissarin bekam einen roten Kopf und schluckte.
»Wuschel? Keine Ahnung. Kenne ich nicht. Ist jetzt auch nicht wichtig. Kümmer dich lieber um den Tatort.«
Emmi holte eine große Lupe aus der Tasche und sah sich damit gründlich um.
»Hier sind überall Spuren unter dem Busch. Von wem sie stammen, kann ich aber nicht sagen. Der Regen der letzten Tage hat sie stark aufgeweicht.«
Nun nahm sie die einzelnen Körperteile des Teddys in die Hand, nahm sie von allen Seiten genau unter die Lupe, untersuchte jedes einzelne Loch.
»Ha! Da ist was. Ich brauche Werkzeug.«
Zimmermann griff in die Tasche seines alten, abgetragenen Mantels, förderte ein Taschenmesser zu Tage und zog eine kleine Pinzette daraus hervor.
»Kommst du damit klar?«
Emmi nickte. Vorsichtig steckte sie die Pinzette in eines der Löcher im Körper des Teddys und holte ein kleines, weißes Etwas daraus hervor.
»Etwa zwei Zentimeter lang, hart und spitz. Das sieht wie ein Zahn aus. Der Teddy wurde das Opfer eines …«
Sie dachte nach, versuchte die Enden ihrer Überlegungen zueinander zu führen.
»Paul!, Komm sofort zurück! Bleib hier!«
Ein Hund, ein Golden Retriever, kam auf das kleine Ermittlerteam zugelaufen. Schwanzwedelnd lief er auf Emmi zu und drängte sie vorsichtig zur Seite, bevor er unter den Busch kroch.
»Hey, pass doch mal auf. Das hier ist ein Tatort. Den kannst du nicht einfach betreten.«
Emmi schob den Hund zur Seite, kam dabei mit dem Arm an seine Lefzen und schob diese hoch.
»Moment mal. Dir fehlt ja ein Zahn.«
Sie grinste.
»Ich glaube, ich habe den Übeltäter entlarvt. Hund Paul hat den Teddy zerfetzt. Dabei ist ihm der Zahn abgebrochen und im Kuscheltier hängen geblieben.«
Nun waren auch die Besitzer des Hundes endlich angekommen und nahmen Paul an die Leine. Sofort sahen sie den zerfetzten Teddy.
»Ach, hier hast du dein Spielzeug versteckt. Endlich ist dein Lieblingsteddy wieder aufgetaucht.«
Paul bellte laut, schnappte sich den Restkörper des Teddy und stürmte damit los.
»Fall erfolgreich gelöst.«, sagte Emmi grinsend und klatschte Zimmermanns Hand ab.
(c) 2021, Marco Wittler
Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay
Antworten