Gefangen in einer Luftblase
Knut zog sich die blaue Jacke über, strich die Ärmel glatt und sah sich prüfend im Spiegel an. Etwas fehlte da noch. Ach, ja. Die passende Schirmmütze gehörte unbedingt auf den Kopf, damit man nicht so viele von den grauen Haaren sehen konnte. Es reichte schon, dass der buschige, graue Schnurrbart nicht zu übersehen war. Eine Rasur kam aber trotzdem nicht in Frage.
Knut legte den breiten Ledergürtel und seine große, schwere Tasche um und nickte endlich. Er war fertig und konnte in den Tag starten. Er öffnete die Tür und schwamm nach draußen.
Moment mal. Wie kann es sein, dass Knut einfach so nach draußen schwimmt und sich nicht darüber wundert? Stellst du dir auch gerade diese Frage? Nun, das ist schnell und einfach erklärt. Knut lebte schon immer am Meeresgrund, denn er war ein waschechter Meermann. Darüber hinaus war er auch noch der Briefträger des Meermenschenvolkes und verteilte täglich die Post. Diese war einzeln in fest verkorkten Flaschen verpackt. Aus diesem Grund stand auch auf Knuts Jacke das Wort ‚Flaschenpost‘ geschrieben.
Knut verließ also sein Haus, das gleichzeitig das Flaschenpostamt war und schwamm von Haus zu Haus. Vor fast jede Tür stellte er eine der Flaschen ab und setzte dann seinen Weg fort.
Nach gut einer Stunde kam er an der Grundschule vorbei. Dort hatte gerade die große Pause begonnen und die Meermädchen und Meerjungen spielten ausgelassen zwischen Rifffelsen und Korallenstöcken, versteckten sich unter den Schalen großer Jakobsmuscheln und jagten kleinen Fischschwärmen hinterher. Als sie den Flaschenpostboten entdeckten, unterbrachen sie allerdings ihre Beschäftigungen und kamen an den Zaun geschwommen.
»Hallo Knut.«, riefen sie ihm entgegen und wünschten einen guten Tag.
Knut, der gern hier vorbei schwamm, blieb stehen, stützte sich mit den Armen auf dem Zaun ab und grinste die Kinder an. Er wusste schon ganz genau, was nun kommen würde.
»Uns ist langweilig. Kannst du uns eines deiner verrückten Erlebnisse erzählen?«, kam auch schon die tägliche Frage.
Knut legte die Stirn in Falten, strich sich mit einer Hand über das Kinn und dachte angestrengt nach, bis sein Grinsen wiederkehrte.
»Mir fällt da tatsächlich etwas ein.«, sagte er. »Ich wäre neulich beinahe erstickt. Ich habe die brenzlige Situation gerade noch überlebt, weil ich schnell genug handeln konnte.«
Schon hatte der Flaschenpostbote die Meerkinder in seinen Bann gezogen. Mucksfischleinstill schwammen sie vor ihm und warteten gespannt auf die nun folgende Geschichte.
Knut lag seinen Bett und schlief so fest, dass es im ganzen Meer nichts gab, was ihn wecken konnte. Er schnarchte so unglaublich laut, dass sein Haus im Sekundentakt wackelte und einzustürzen drohte. Nicht einmal die die laut quietschenden Delfine störten seinen Schlaf. Erst das leise Klicken seines Seesternweckers riss ihn aus seinen Träumen.
Der Flaschenpostbote gähnte, streckte sich und mühte sich dann unter seiner Decke hervor. Er entfaltete die Flossen seines Schwanzes und schwamm langsam in seine Küche. Doch dort platschte er plötzlich auf den trockenen Boden.
»Hilfe! Was ist denn hier passiert?«
Knut befand sich in einer Luftblase, einem Ort, in dem Wasserbewohner nicht atmen können. Er griff sich sofort an die Kiemen, was aber nichts half. Er musste sofort zurück ins Wasser. Knut kroch über den trockenen Boden, kam aber nicht weit. Seine Arme waren zu schwach, um den schweren Körper zurück zu ziehen.
»Was geht denn hier vor?«, rief er mit letzter Kraft? »Woher kommt diese verdammte Blase?«
Er sah sich um und entdeckte den Kopf eines riesigen Wals, der zum Fenster herein blickte.
»Uppsi! Mein Fehler.«, sagte der Wal. »Habe vergessen, dass ich hier nicht ausatmen darf.«
Er verschwand wieder nach draußen. Sofort strömte frisches Wasser herein. Knut war gerettet und konnte endlich wieder atmen.
Der Flaschenpostbote richtete sich auf, schwamm zum Fenster und sah grimmig nach draußen.
»Verdammt, Walter! Wie oft habe ich dir schon verboten, in mein Haus zu kommen? Das ist einfach zu gefährlich.«
Walter ließ den Kopf hängen und schluckte schwer. »Tut mir wirklich leid. Ich hab es aber vor Ungeduld nicht mehr ausgehalten. Ich warte nämlich auf einen Brief von meiner Oma.«
Knut schüttelte den Kopf. »Der ist noch nicht hier. Da wirst du noch etwas warten müssen.«
Der Wal schniefte, nickte und verabschiedete sich. »Dann komme ich einfach Morgen wieder.«
Knut riss die Augen auf und hoffte, dass er dann nicht wieder in einer Luftblase enden würde.
Die Kinder sahen Knut nun ebenfalls mit großen Augen an. Luftblasen, wussten sie, waren sehr gefährlich.
»Mir ist aber nichts passiert. Ich stehe immerhin vor euch.«, lachte Knut.
Dann machte er sich wieder auf den Weg und verteilte die restlichen Flaschen.
(c) 2021, Marco Wittler
Bild: Nik Karlov auf Pixabay
Antworten