Frühlingserwachen
In einem riesig großen Saal war es still – mucksmäuschenstill. Kein Laut war zu hören. Das einzige Geräusch, dass die Stille regelmäßig durchbrach, war das leise Ticken eines kleinen Weckers in der hinterletzten Ecke auf einem Tisch. Der restliche Saal war mit unzähligen kleinen Betten belegt, in denen jeweils jemand tief und fest schlief.
Mitten in der Nacht war es plötzlich mit der Ruhe vorbei. Der Wecker klingelte. Zuerst war er noch ganz leise, aber schnell wurde er lauter und lauter, bis einem fast die Ohren geplatzt wären.
Aus dem Bett, das dem Tisch am nächsten stand, kam langsam eine Hand hervor. Sie tastete sich zum Wecker vor, suchte nach einem Schalter und betätigte ihn. Sofort kehrte wieder Ruhe ein.
»Ich kann es gar nicht glauben. Ist es wirklich schon so spät?«
Zwei müde Augen wurden ausgiebig gerieben und starrten dann verschlafen zuerst auf das Ziffernblatt, dann auf einen Kalender, der an der Wand dahinter hing.
»Tatsächlich. Es ist so weit. Wir müssen aufstehen. Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit.«
Die warme Decke wurde achtlos zur Seite geworfen. Hastig zog sich einer der Schläfer seine Sachen an. Dann griff er zu einer Trillerpfeife, die unter seinem Kopfkissen gelegen hatte und blies kräftig hinein.
»Los! Aufwachen! Aufstehen! Jetzt ist keine Zeit mehr zum Schlafen. Wir sind spät dran – vielleicht sogar schon zu spät. Das liegt ganz bei euch. Also legt euch ins Zeug und beeilt euch, damit wir nicht die gleichen Probleme bekommen, wie beim letzten Mal.«
Lautes Gähnen machte sich in dem großen Saal breit. Dann standen sie alle gleichzeitig auf und zogen sich an. Müde schlurften sie nacheinander ins Bad, putzten sich die Zähne, wuschen sich die Gesichter und machten sich bereit, ihre Behausung zu verlassen.
Ihr Anführer stand schon am Ausgang bereit. Er hatte sich schon vor dem großen Schlafen einen narrensicheren Plan zurecht gelegt. Dieses Mal würde nichts schief gehen. Dieses Mal würden sie es schaffen. Da war er sich ganz sicher.
»Aufstellung nehmen!«, brüllte er wie ein Offizier, der seine Soldaten antrieb.
»Wir starten in wenigen Augenblicken.«
Er warf einen letzten Blick auf seinen Wecker, zählte die verbliebenen Sekunden herunter und gab schließlich das Kommando, dass jeder seinen Ausgang öffnen sollte.
»Ab jetzt ist jeder auf sich allein gestellt. Ihr wisst, worauf es ankommt und wo wir uns hoffentlich heil und unversehrt wieder zusammen finden.«
Der Anführer kletterte zuerst durch die Deckenluke ins Freie, dann folgten ihm die anderen. Verwirrt sah er sich um. Sonne? Sonnenschein? Jetzt schon? Es war doch noch viel zu früh dafür. Es sollte doch noch mitten in der Nacht sein. Was war denn jetzt schon wieder passiert?
Er sah zurück auf seinen Wecker und stellte fest, dass dessen Zeiger sich viel zu langsam bewegten.
»Oh, nein. Ich habe vor dem großen Schlaf vergessen, ihn ordentlich aufzuziehen. Jetzt kann uns nur noch ein Wunder retten.«
Er wandte sich zu seinen Leuten um.
»Bringt euch in Sicherheit! Sofort!«
Aber es war bereits zu spät. Sie waren bereits von den großen Ungetümen entdeckt worden und hörten schon ihre Rufe.
»Juhuu! Endlich ist Frühling!«
Die Ungetüme waren Menschenkinder in einem Kindergarten. Mit großer Begeisterung stürmten sie auf die nahe Wiese und streckten sofort ihre Hände nach den Schläfern aus.
»Blumen! Endlich wieder Blumen!«, freuten sich die Kinder und pflückten die ersten Schneeglöckchen.
»Ich habe es befürchtet.«, erschauerte der Anführer der Schneeglöckchen. »Wir erleiden das selbe schlimme Schicksal, wie in jedem Jahr. Jetzt muss ich mir wieder einen neuen Plan einfallen lassen, um uns erfolgreich im Frühling zu verstecken.«
(c) 2018, Marco Wittler
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