012. Das Wasserloch

Das Wasserloch

 Irgendwo in Afrika, mitten in der trockenen Steppe, brannte die Sonne heiß auf den Boden. Da es schon seit Monaten nicht mehr geregnet hatte war der Boden trocken und rissig, und die wenigen Büsche, die noch zu sehen waren, waren schon vor langer Zeit braun geworden.
Kaum ein Tier ließ sich um diese Tageszeit sehen, weil es einfach zu heiß war. Nur ein paar wenige Eidechsen saßen auf einem Stein und sammelten Sonnenwärme für die kommende kalte Nacht. Alle anderen lagen in Erdhöhlen, unter einsamen Bäumen oder hatten sich selber eingebuddelt. Dort warteten sie alle auf die kühlen Abendstunden.
Und wie Tiere nun mal so sind, hatten sie nur einen Gedanken. Wann und wo würden sie das nächste Mal etwas zu fressen bekommen.
Ein Rudel Löwen lag auf einem großen Felsen und beobachtete alles ganz genau. Denn die letzte Mahlzeit lag schon etwas zurück. Vor drei Tagen hatten sie das letzte Mal etwas zu fressen. Doch so weit sie auch in die Ferne starrten, nirgendwo war eine Tierherde oder auch nur ein einzelnes Beutetier zu sehen. Nur ein paar hungrige Giraffen fraßen die letzten trockenen Blätter von einem Baum.
Doch an diese großen Tiere traute sich kein Löwe heran, denn mit ihren langen Beinen konnten sie einen Angreifer kräftig treten und schwere Verletzungen zufügen.
Doch mehr als die Frage nach Futter hatten alle im Kopf, ob es bald regnen würde. Das letzte Wasserloch war jetzt nur noch so groß wie eine Pfütze. Und in ein oder zwei Tagen würde es auch vertrocknet sein.
Aber die Regenzeit lies noch auf sich warten. Es waren keine Wolken am Himmel zu sehen.
Überall war es still. Nur ein paar Grillen saßen zirpend in den trockenen Grasbüscheln.
Doch plötzlich erklang ein fernes Donnergrollen vom Horizont. Einige Tiere hofften schon auf ein Regen spendendes Gewitter. Aber dann sahen sie eine große Staubwolke, die sich langsam näherte. Die Geräusche wurden immer lauter. Kurz bevor die Wolke am Wasserloch ankam konnte man endlich die Ursache erkennen. Es handelte sich um eine große Elefantenherde.
Sie waren auf der Suche nach Wasser. Und Elefanten brauchen sehr viel Wasser. Weil sie so groß sind müssen sie viel mehr trinken als andere Tiere. Und wenn es ihnen zu heiß wird können sie sich nicht unter einem Strauch verkriechen oder sich selbst im Sand vergraben bis es kühler wird. Normalerweise stellen sie sich in ein Wasserloch und bespritzen ihren ganzen Körper mit schlammigem Wasser. Das kühlt ab und schützt gleichzeitig gegen Fliegen und Parasiten, damit die Elefanten nicht krank werden. Doch ohne Wasser wird der Schlamm zu Staub. Deswegen war die Herde nun auf der Suche nach einer Stelle, die noch nicht ganz ausgetrocknet war. Und jetzt hatten sie es fast geschafft.
Die Herde bestand nur aus Elefantenkühen und Kälbern, Mütter mit ihren Kindern. Die männlichen Elefanten liefen lieber allein durch die Steppe.
Noch bevor sie auch nur einen Tropfen Wasser sehen konnten wurden einige andere Tiere unruhig. Ein paar besonders große Löwen stiegen von ihrem Felsen herab und postierten sich zwischen der Elefantenherde und dem Wasserloch.
Die großen Dickhäuter blieben stehen und schauten die Löwen misstrauisch an.
„Bitte lasst uns an das Wasser gehen. Wir sind seit Tagen unterwegs und unsere Kinder können sich vor lauter Durst kaum noch auf den Beinen halten.“
Der Löwe mit der dicksten Mähne zeigte seine Zähne und versuchte so gefährlich wie möglich auszusehen.
„An uns kommt ihr nicht vorbei. Das Wasser ist fast verdunstet. Es reicht bald nicht einmal mehr für uns. Wenn wir euch jetzt trinken lassen ist bis heute abend nichts mehr da. Sucht euch euer eigenes Wasser.“
Die Elefanten überlegten, was sie nun tun könnten. Aber sie hatten keine andere Wahl als weiter zu ziehen. Für einen Kampf gegen ein Rudel Löwen waren ihre Kinder noch zu klein und die Mütter mittlerweile viel zu schwach. Also suchten sie sich eine neue Richtung aus und zogen davon. Es dauerte nicht lange bis ihre Staubwolke am Horizont verschwunden war.

 Am späten Abend, die Sonne war bereits verschwunden, kam die Herde an einem verlassenen Wasserloch an. Hier waren keine anderen Tiere mehr, denn nicht einmal eine kleine Pfütze war mehr zu sehen.
Die Elefantenkinder waren ganz traurig, aber ihre Mütter versprachen ihnen bereits für das Frühstück jede Menge Wasser ohne laufen zu müssen. Mit diesem Gedanken schliefen sie alle zufrieden ein.

 Am nächsten Morgen setzten sich die kleinen Elefanten an den Rand des Wasserloches und schauten ihren beschäftigten Müttern bei der Arbeit zu. Sie standen in der Mitte der trockenen Wasserstelle und gruben kräftig mit Beinen und Rüsseln im Boden. Die Erde flog im hohen Bogen durch die Luft und bildete einen kleinen Haufen der rasch größer wurde.
Da passierte es. Der erste Elefant stand mit den Füßen in einer kleinen Pfütze. Und während der Hügel an der Seite wuchs wurde auch das Wasser mehr. Bis zum Mittag war ein richtiges Wasserloch entstanden. Es war sogar größer als das der Löwen am Tag zuvor.
Nun war endlich genug zu trinken da. Und für ein richtiges Schlammbad würde es auch ausreichen.
Nach einiger Zeit hörten sie Geräusche. Ein paar neugierige Elefanten kletterten hoch, um zu sehen, woher sie stammten.
Nur ein paar Meter entfernt kamen die Löwen heran gekrochen. Sie sahen schwach und durstig aus. Und genauso war es auch. Ihr eigenes Wasser war verdunstet und nun hatten sie nichts mehr zu trinken. Sie konnten genau sehen, dass die Elefanten viel mehr Wasser hatten als sie brauchten, aber trotzdem trauten sich die Löwen nicht zu fragen, ob sie etwas abbekommen könnten. Lieber schauten sie sich um, wo das nächste Wasser sein könnte.
Die Elefanten hatten nicht vergessen, was die Löwen mit ihnen gemacht hatten, denn Elefanten vergaßen nie etwas. Aber trotzdem waren sie viel freundlicher zu den Löwen. Sie luden die Durstigen ein, soviel zu trinken wie sie wollten.
Und so entstand eine neue Freundschaft zwischen Löwen und Elefanten, die gemeinsam an einer Wasserstelle lebten und das wenige, was sie besaßen, zufrieden miteinander teilten. Denn auch wenn man wenig hat, ist es immer eine Freude jemandem davon zu geben, der noch weniger hat.

(c) 2004, Marco Wittler

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