Das Monster über meinem Bett
Ich wusste es. Und ich hatte es schon immer gewusst. Meine Mutter wollte es mir immer ausreden, aber sie hat mich nie überzeugen können.
Mein Name ist Momo. Ich bin ein kleines Monster und lebe nun schon seit einem Jahr unter meinem eigenen Bett. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie eng es früher war. Da wohnte ich noch bei meinen Eltern und meinen vier Geschwistern. Das konnte ganz schön eng werden. Aber nun habe ich so viel Platz, dass ich gar nicht weiss, an welchen Bettpfosten ich mich zuerst kuscheln soll. Beim Schlafen kann ich mich richtig lang machen und auch hin und her drehen, ohne jemanden zu treten und zu stören. Das ist ein richtig schönes Leben.
Wenn da nicht diese Angst wäre.
Schon früher, als ich noch bei Mama und Papa wohnte, hatte ich das Gefühl, dass ausserhalb unserer kleinen Welt noch mehr ist. Immer wieder bewegte sich des Nachts unser Bett. Manchmal ruckelte es und die Matratze gab komische Geräusche von sich. Jedes Mal bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich glaubte, dass es da ein Lebewesen gab, dass über unserem Bett lebte. Aberzu Gesicht hatte ich es nie bekommen.
Mama versuchte mich dann immer zu beruhigen. Sie sagte, es gäbe keine anderen Lebewesen, schon gar nicht über dem Bett. Das wäre ein Märchen. Nichts weiter. Und meine Geschwister lachten mich immer aus. Sie würden nicht an diesen Quatsch glauben.
Aber warum dann diese Geräusche und Bewegungen?
»Das sind Erdbeben«, sagte Papa dann immer.
Aber trotz dieser vielen Erklärungen hatte ich weiterhin Angst.
Nun bin ich mittlerweile nicht mehr so klein und lebe unter meinem eigenen Bett. Ein richtig schönes habe ich mir da ausgesucht. Es war noch ganz allein und es war kein anderes Monster weit und breit zu sehen. Also zog ich unter der Matratze ein.
Aber schon in der ersten Nacht hörte ich wieder Geräusche und ein Erdbeben lies das Holz bedrohlich knacken. Und dann in der nächsten Nacht schon wieder und immer so weiter. Konnte es wirklich sein, dass diese Dinge immer nur Nachts geschahen?
Am Tage, wenn es hell wurde, sah ich ein paar Mal unter dem Bett hervor. Aber zu entdecken war nichts. Ich war tatsächlich allein. Aber trotzdem hatte ich noch immer Angst, dass es vielleicht doch ein Lebewesen über dem Bett gab.
Nachdem ich nun in der letzten Nacht die ganze Zeit vor Angst gezittert habe, bin ich davon überzeugt, dass ich hier nicht alleine bin. Und deswegen will ich mir nun auch ein Herz nehmen und mich davon überzeugen, dass ich Recht habe oder die Geschichte von den Erdbeben wirklich wahr ist. Heute Nacht werde ich es heraus bekommen.
Ich habe mir extra ein wenig Tageslicht eingefangen, es in einen kleinen durchsichtigen Kasten eingesperrt. So kann nun in der Dunkelheit etwas sehen.
Ich krieche unter meinem Bett hervor. Ganz langsam, damit mich nichts entdeckt. Ich sehe mich vorsichtig um, finde aber nichts, dass mir gefährlich werden könnte.
Ich stehe auf und schaue mich um. Und da trifft es mich plötzlich wie ein Schlag.
Mit einem Mal beleuchtet mich ein grelles Licht. Ich kann die Augen kaum aufhalten, so sehr schmerzt es.
Ich wusste es ja immer. Hier haust doch ein grausames Ungetüm. Es ist ein Wesen aus Licht und es wird mich verschlingen.
Verzweifelt halte ich mir die Hände vor die Augen und weine. Ich erwarte das Schlimmste. Ob es wohl weh tun wird, wenn es mich frisst?
Doch dann geht das Licht wieder aus. Langsam nehme ich die Hände runter. Ich Dämmerschein meines Lichts sehe ich es dann vor mir. Über dem Bett lebt tatsächlich ein Wesen. Es ist etwa so groß wie ich, aber sein Körper ist nackt. Nur oben auf dem Kopf wächst etwas Fell. Es ist komisch aus, fasst lustig. Aber dennoch habe ich Angst.
Täusche ich mich? Was sehe ich denn da?
Das Wesen vor mir zittert. Hat es Angst? Aber wovor denn? Gibt es hier denn noch schlimmere Wesen? Ist das vielleicht meine Chance mit heiler Haut hier raus zu kommen? Jedenfalls ist es einen Versuch wert. Ich stelle mein Licht zur Seite und gehe langsam einen Schritt auf das Wesen zu.
»Hallo.«, sage ich mit zittriger Stimme.
»Ich bin Momo, das Monster unter dem Bett.«
Das Wesen weicht zurück, zieht die Decke über den Kopf und zittert immer mehr. Hat es etwa Angst vor mir? Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht damit.
Vorsichtig klettere ich auf das Bett. Ich bin mir sicher, dass noch ein Monster vor mir dies gewagt hat. Ich krieche langsam zu diesem Wesen und ziehe ihm die Decke vom Kopf.
»Keine Angst, ich tu dir nichts. Versprochen.«
Es blickt mich an. Das Zittern wird weniger.
»Wirklich ehrlich? Und du frisst mich auch nicht auf?«
Es ist das erste Mal, dass ich dieses Wesen reden höre. Und wir haben sogar beide die gleiche Sprache.
»Nein, ich fresse dich nicht auf. So einen großen Bauch habe ich gar nicht. Da würdest du auch gar nicht rein passen. Vor mir brauchst du keine Angst zu haben.«
Ich grinse das Wesen ganz freundlich an.
»Eigentlich hatte ich sogar Angst vor dir.«
Jetzt wird es langsam zutraulicher und rutscht etwas zu mir rüber.
»Ich bin Paul. Und ich schlafe abends immer in diesem Bett. Und ich habe immer Angst gehabt, was wohl unter meinem Bett sein könnte. Ich habe immer Geräusche gehört, aber mich nie getraut, nachzusehen. Meine Mama hat mir immer erzählt, dass da drunter nichts ist und es keine Monster gibt. Aber ich hab ihr nicht geglaubt. Und jetzt habe ich doch Recht gehabt. Du bist ja schließlich hier, oder?«
Er kommt langsam mit der Hand näher und stupst mich mit seinem Finger kurz an.
»Ja, du bist echt.«
Er grinst.
Und jetzt bin ich dran. Auch ich berühre ihn mit meinem Finger. Auch dieses Wesen ist echt.
»Aber was bist du? Ich kenne nur Monster unter Betten. Aber Wesen wie dich kenne ich nicht.«
Paul hat nun gar keine Angst. Er setzt sich nun neben mich und beginnt zu erzählen.
»Ich bin ein Mensch. Aber nur ein kleiner Junge. Es gibt uns in groß und klein. Zu den kleineren gehöre ich, aber mein Papa, der ist fast doppelt so groß, wie ich.«
»Bist du deswegen so unbehaart, weil du noch klein bist? Wächst dein Fell noch?«
Er schüttelt mit dem Kopf.
»Wir Menschen haben kein Fell. Aber mein Papa hat noch ein paar Haare auf seinem Bauch und im Gesicht. Das ist auch schon alles.«
Wir reden noch viele Stunden miteinander. Ich erzähle ihm von der Welt unter dem Bett, von den Monstern, die gar nicht gefährlich sind und was wir den ganzen Tag so machen. Ich erfahre dafür, was ein Menschenjunge so treibt. Er erzählt mir von der Welt außerhalb seiner Welt, das Draußen. Das macht mich sehr neugierig. Ich klettere vom Weg und laufe zu diesem Ding, das er Fenster nennt. Es ist aus Glas und man soll durchsehen können. Aber dahinter ist nichts zu sehen.
»Du Dummerchen.«, sagt Paul. »Es ist ja auch Nacht. Da scheint kein Licht. Man kann nur am Tag nach draußen schauen.«
Ich bin etwas enttäuscht. Aber sehe ein, dass es nicht geht.
Wir setzen uns wieder auf das Bett und reden weiter, bis Paul immer leiser wird. Seine Augen fallen langsam zu und dann schläft er ein. Er sieht so friedlich und harmlos aus. Jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich vor ihm Angst hatte.
Ich rutsche langsam vom Bett und krieche wieder unter das Bett. Hier ist meine kleine Welt. Aber mittlerweile hat sie sich verändert. Sie ist größer geworden. Sie endet nun nicht mehr an den Bettpfosten, sondern sie ist um ein Kinderzimmer erweitert worden. Ich bin auch nicht mehr alleine. Ich habe einen Freund gefunden.
Ich bin schon ganz aufgeregt, was ich noch alles mit Paul erleben werde. Vielleicht wird er mir auch die Welt da draußen zeigen. Darauf bin ich ganz besonders neugierig.
Aber nun bin ich müde. Ich rolle mich zusammen, ziehe meine kleine Decke über meinen Bauch und schlafe ein.
(c) 2007, Marco Wittler
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