040. Der Fluch (Ninas Briefe 6)

Der Fluch

 Hallo Steffi.

 Du kannst dir gar nicht vorstellen, was mir passiert ist. Ich glaub mir ja selbst nicht mal. Aber irgendwie ist es doch geschehen.
Du willst wissen, was ich meine? Also, pass auf.
Letzte Woche, als ich aus der Schule kam, lief mir doch glatt die Celine über den Weg. Dieses Mädchen kann keiner leiden, weil sie immer so fies zu allen ist. Sie beschimpft jeden und sagt nur schlimme Wörter. Deswegen hat sie keine Freunde und jeder hält sich von ihr fern.
Aber ausgerechnet ich muss ihr dann in die Quere kommen. Etwas Schlimmeres hätte mir gar nicht passieren können.
Es war in dem Moment, als ich fast zu Hause war und aus dem Bus aussteigen wollte. Ich ging die Stufen runter und knallte dabei mit Celine zusammen. Sie hatte wohl nicht warten wollen, bis alle ausgestiegen waren, und drängelte sich einfach rein. Und als wir dann ineinander liefen, fielen wir beide auf den Boden und verloren unsere Schultaschen. Alle Bücher und Hefte lagen nun verstreut umher. Die mussten wir erst einmal wieder sortieren.
Celine war so sauer auf mich. Das wurde sogar noch schlimmer, als der Bus abfuhr und sie deswegen eine halbe Stunde später nach Hause kommen würde.
Sie sah mit mit böse funkelnden Augen an. Dann flüsterte sie mir etwas zu: »Ich verfluche dich. Ich hoffe, dass dir ganz schlimme Dinge passieren werden.«
Jetzt konnte ich verstehen, warum sie niemand mochte. Dabei hatte ich mich doch sofort mehrfach bei ihr entschuldigt. Aber davon wollte sie nichts hören. Also packte ich schnell meine Sachen zurück in die Tasche und verschwand nach Hause.
Am nächsten Morgen fiel mir wieder ein, was Celine zu mir gesagt hatte. Schlimme Dinge sollten mir passieren. Ich lachte darüber. So etwas konnte doch nicht funktionieren. Ein Mädchen wie sie konnte doch so etwas nicht herauf beschwören. Oder doch?
Etwas mulmig war es mir doch. Aber Angst hatte ich keine. Allerdings änderte sich das schon bald. Denn dann passierten einige Dinge, die mich doch nachdenklich machten.
Ich stand auf, zog mich und ging ins Bad. Meine Zähne mussten ja noch geputzt werden, damit sie schön blitzeblank glänzen würden. Schließlich kontrolliert Mama jeden Morgen.
Ich drückte etwas Zahnpasta auf die Tube und schob mir die Bürste in den Mund. Aber was war das? Voller Ekel verzog ich mein Gesicht und spuckte sofort aus. Das war gar keine Zahnpasta. Auf der Tube stand nämlich etwas ganz anderes. Es war eine Pickelcreme. Pfui!
Ich wusch mir stundenlang den Mund aus, bis der Geschmack wieder weg war. Danach konnte ich mir endlich richtig die Zähne putzen.
Beim Frühstück ging es dann schon weiter. Mama hatte mir ein leckeres Brot mit Marmelade gemacht. Aber noch bevor ich es in den Mund bekam, gab es draussen einen lauten Knall. Vor Schreck lies ich das Brot fallen und es landete mit der Marmelade nach unten. Und unsere Katze machte sich sofort drüber her.
Mama sagte, dass das nicht schlimm wäre. Sie würde mir gleich ein neues Brot schmieren. Sie musste dann aber feststellen, dass die Marmelade leer war. Ich bekam also nur noch ein Käsebrot. Dabei mag ich Marmelade viel lieber.
Als dann der Bus kam, sah ich schon von Weitem, dass Celine bereits an der Tür stand. Sie würde hier aussteigen, wie an jedem Tag. Der Bus hielt, sie stürmte heraus und rannte mich um. Dass sie das mit Absicht tat, wusste ich genau. Sie drehte sich nicht einmal um, um sich zu entschuldigen. Und ich lag am Boden und sah meinen Bus weg fahren. Als ich aufstand und meinen Rucksack aufhob, riss er entzwei und alle Bücher und Hefte fielen heraus.
Zu meinem Glück hatte Mama mich durch das Küchenfenster gesehen. Sie kam sofort heraus und half mir, alles aufzusammeln. Wir gingen wieder ins Haus und sie holte eine ihrer großen Taschen aus dem Schrank. Darin konnte ich dann alles verstauen.
Mit dem Auto brauchte sie mich dann noch zur Schule, um nicht zu spät zu kommen.
In der fünften Stunde hatten wir dann Mathe. Und ob du es glaubst oder nicht, ich habe eine Fünf in der letzten Arbeit bekommen.
Aber meine Pechsträhne ging noch weiter. Denn in der Mittagspause klatschte mir die Köchin einen großen Teller mit Kartoffelbrei auf mein Tablett. Und weil der Teller so schwer war, fiel mir auch sofort alles auf den Boden und ich machte mir dabei die Hose dreckig.
Vor lauter Verzweiflung rannte ich weg und verkroch mich in der dunkelsten Ecke des Schulhofs. Da konnte ich wenigsten ganz für mich alleine weinen und über alles nachdenken.
Dieser Fluch, den mir Celine auferlegt hatte, war so ziemlich das Schlimmste, was mir je passiert war. Ich hatte richtig Angst davor, nach Hause zu gehen. Ich wusste ja nicht, was mir noch alles geschehen konnte.
Die letzten drei Schulstunden blieb ich ganz vorsichtig auf meinem Stuhl sitzen, bewegte mich nur, wenn es nicht anders ging und sagte kein Wort mehr.
Als ich endlich wieder zu Hause angekommen war, sah es noch um einiges schlimmer aus. Mich hatte an der Bushaltestelle ein Hund angebellt, mir waren die Schnürsenkel am rechten Schuh gerissen und es hatte ganz plötzlich angefangen zu regnen. Ich war nass wie ein Pudel, als ich endlich vor der Haustür stand.
Zum Glück war Mama da, die mich dann erst einmal mit einem großen Handtuch trocken gerubbelt hat.
Dabei habe ich ihr dann alles erzählt. Sie hat aber nur gelacht und gemeint, dass man niemanden verfluchen kann. Dass es nicht funktionieren würde und Celine mich nur angeschwindelt hat.
Ich wollte Mama ja auch glauben, aber dann rutschte ich in der Küche in einer Pfütze aus und fiel auf meinen Po. Das tat ganz schön weh.
Am Abend kam dann Oma vorbei. Nach dem Essen ging ich mit ihr nach oben und erzählte ihr alles, was passiert war, und ich nicht glaubte, was Mama mir gesagt hatte.
Oma lächelte so, wie sie es immer tat, wenn sie mir ganz wichtige Sachen von früher erzählte.
Ich musste ihr noch einmal genau aufzählen, was ich erlebt hatte, und dann fing sie an, mir alles zu erklären.
»Weisst du, mein Kind. Das hat doch alles nicht mit einem Fluch zu tun. Pass mal auf.
Sie sagte, dass Mama im Moment einen richtig dicken Pickel im Gesicht hat und diesen dreimal am Tag mit einer Creme einschmiert. Und weil ich ja morgens immer noch so müde bin, hab ich wohl einfach nicht richtig hin geschaut, was in der Tube drin war. Das kann halt mal passieren.
Meine Stulle hatte ich fallen gelassen, weil es laut geknallt hat. Das lag am Rest des Gewitters, das über uns hinweg gezogen war. Das ist halt einfach so laut und erschreckt doch wirklich jeden. Und unsere Katze ist so gierig nach allem Süßen, dass es klar war, dass sie sich meine Stulle schnappt.
Am kaputten Rucksack trug Celine die Schuld. Sie hat mich schließlich geschubst. Und dieser Rucksack ist halt schon sehr alt, da ist einfach beim Sturz eine Naht geplatzt.
Die Fünf in Mathe lag wohl daran, dass ich am Wochenende lieber zum Eislaufen gegangen bin, als zu lernen, und der plötzliche Regen war gar nicht so plötzlich, denn in der Zeitung stand drin, dass es an dem Tag regnen sollte. Die Pfütze, in der ich ausgerutscht bin, ist durch meine nassen Sachen entstanden. Naja, und ein Mittagstablett kann halt mal hinfallen.
Du siehst, für alles logische Erklärungen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war. Ich habe Oma ganz doll gedrückt und ihr gesagt, dass ich sie lieb hab.
Und schon am nächsten Morgen war alles wie immer. Allerdings hatte Celine dann den Bus verpasst. In der Schule hab ich sie nur dumm angegrinst und gesagt: »Siehst du, das geht sogar ganz ohne verfluchen, dass du Pech hast und ich nicht.«

 Liebe Grüße, deine Nina.

 P.S.: Falls dich mal jemand verflucht, dann pfeif einfach darauf und fluch zurück. So mach ich das jetzt auch immer.

(c) 2007, Marco Wittler

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