Die heldenhafte Schnecke
Was macht eine Schnecke eigentlich den ganzen Tag über?
Sie kriecht langsam durch die Gegend und knabbert mal an dem einen und mal an dem anderen Blatt. Und weil sie sehr langsam sind, haben sie immer ein kleines Häuschen bei sich, damit sie abends nicht zu lange brauchen, um nach Hause zu kommen.
Gemütlichkeit gehörte in jedes Schneckenleben. Spontan waren Schnecken nie, denn dafür sind sie schon immer zu langsam gewesen. Verabreden sie sich mit Freunden, geschieht das meist eine Woche im Voraus, damit sie sich auch rechtzeitig auf den Weg machen können.
Bei Nino war das allerdings etwas anderes. Nino war auch eine Schnecke. Seine Freunde und Nachbarn hatten ihm allerdings schon vor einiger Zeit ein paar besondere Geschenke gemacht.
Um nicht so viel Zeit allein zu Hause zu sein, leistete ihm ein kleiner Hund Gesellschaft. Wuschel war sein Name und er wich seinem Herrchen den ganzen nicht von der Seite.
Doch das war noch nicht alles, denn Nino besaß nun auch ein Skateboard. Wenn er jemanden besuchen wollte, dann stellte er sich einfach darauf und ließ sich von Wuschel durch die Stadt ziehen.
Das war vielleicht ein Bild. Das kann man sich eigentlich gar nicht so richtig vorstellen, wenn Nino schneller als jeder andere durch die Straßen flitzte. Die einzige, die mit ihm mithalten konnte, war Fräulein Fledermaus. So manches Mal entstand daraus sogar ein Wettrennen, obwohl Fräulein Fledermaus flog. Und ob man es glaubt oder nicht, der Nino hat hin und wieder auch gewonnen.
Doch heute hatte er etwas anderes vor. Er stand vor dem Spiegel, bürstete sich sein Haar und kümmerte sich anschließend um das Fell von Wuschel.
»Komm schon her, Wuschel. Du willst doch heute auch schön sein. Es ist doch Sonntag und da muss man immer gut anzusehen sein.«
Nino band sich noch eine schicke rote Fliege um den Hals und dann verließen sie das Haus.
Wuschel hatte bereits das Skateboard in seiner Hundeschnauze und trug es nach draußen.
»Das ist aber lieb von dir.«, sagte Nino.
Die Schnecke auf das Brett, nahm die Leine des Hundes in beide Hände und schon ging es los.
Wuschel rannte durch die Straßen. Er war gar nicht mehr zu bremsen. Wie ein Wirbelwind ging es durch die Stadt und schließlich aus ihr heraus. Es blieb kaum Zeit, den Nachbarn einen Gruß entgegen zu rufen.
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie am See vor der Stadt ankamen.
»Was meinst du, Wuschel, ob das heute ein schöner Tag für uns wird?«
Die beiden machten es sich etwas oberhalb des Wassers in der Sonne gemütlich und genossen das warme Wetter. Die Sonne stand hoch am Himmel und keine einzige Wolke versperrte ihren Strahlen den Weg.
Es waren noch einige andere Leute in der Nähe. Sie wollten ebenfalls einen Sonnenbad nehmen. Auf der anderen Seite des Sees lag Herr Maulwurf auf einem großen Handtuch. Fräulein Fledermaus flog einige Runden über dem Wasser und fing zum Zeitvertreib einige Fliegen ein, die sie aber gleich wieder frei ließ. Der Bürgermeister saß auf einem hohen Holzturm, damit er auch alles gut überblicken konnte. Im Wasser tummelte sich eine kleine Entenfamilie.
Nino sah die Enten und dachte nach.
»Ich werde freiwillig nie in den See gehen. Das ist mir viel zu gefährlich. Ich kann ja auch gar nicht schwimmen.«
In diesem Moment gab es plötzlich einen starken Windstoß.
»Huch, woher kommt denn der Wind?«, fragte sich Nino.
Auch Wuschel wurde ganz unruhig.
Der Turm des Bürgermeisters begann zu wackeln, die Enten auf dem Teich wurden von kleinen Wellen hin und her geschaukelt und das Badetuch des Herrn Maulwurf begann wie wild zu flattern.
Doch so schnell, wie der Wind auch aufgetaucht war, verschwand er wieder. Alles war wieder ruhig.
Nino sah sich um und bemerkte, dass seine Freunde ebenfalls sehr überrascht waren, sich aber langsam wieder beruhigten. Herr Maulwurf legte sich wieder hin, die Enten waren an Land geschwommen und der Bürgermeister hielt sich nicht mehr krampfhaft am Geländer seines Turmes fest.
Nino sah sich um. Er rieb sich die Augen und blickte ein weiteres Mal in alle Richtungen. Aber es bestand kein Zweifel. Sie war nicht mehr da.
»Wo ist denn Fräulein Fledermaus. Vor ein paar Minuten flog sie doch noch über den See und hat mit den Fliegen gespielt.«
Und dann war plötzlich ein leises Plätschern zu hören.
Nino sah noch einmal genauer hin und entdeckte sie.
»Ach du Schreck. Fräulein Fledermaus ist im Wasser gelandet.«
Und nun zappelte sie darin herum. Nino fiel sofort ein, dass die kleine Fledermaus nicht schwimmen konnte.
Er rief sofort um Hilfe. Irgendwer musste ihr doch helfen. Er sah sich um. Herr Maulwurf war bereits aufgestanden. Da er aber nicht so gut sehen konnte, würde er die Fledermaus nicht finden können. Der Bürgermeister kam nur sehr langsam mit seinem dicken Bauch von seinem Turm herunter und würde viel zu lange für eine Rettung brauchen. Aber was war mit den Enten?
Nino blickte verzweifelt um sich und fand sie. Die Entenküken saßen alle unter einem großen Baum. Sie waren viel zu klein, um jemanden aus dem Wasser zu retten. Und Mama Ente war nicht zu sehen. Sie war wahrscheinlich auf Futtersuche.
»Oh, verdammt. Es ist niemand da, der Fräulein Fledermaus retten kann. Was sollen wir denn jetzt tun, Wuschel?«
Nino war verzweifelt. Er wollte die kleine Fledermaus unbedingt retten, nicht nur, weil sie ihn damals völlig eingeschneit im Schnee gefunden hatte, sondern auch, weil sie sehr gut befreundet waren.
»Wir müssen unbedingt etwas unternehmen, Wuschel. Nur was?«
Der kleine Hund bellte ganz aufgeregt und hüpfte im Kreis herum. Schließlich stieß er mit seiner kleinen Schnauze das Skateboard um.
Nino kam eine Idee.
»Das ist es Wuschel. Ich habe eine Idee. Aber dazu brauche ich deine Hilfe.«
Die Schnecke hüpfte auf das Skateboard und schnappte sich die Hundeleine.
»Los Wuschel. Zieh mich zum Wasser, so schnell wie du kannst.«
Der Hund rannte los, als ginge es um sein Leben. Seine kleinen Füße gaben alles, was sie hatten, bis er kurz vor dem Wasser stehen blieb.
Das Skateboard hatte aber keine Bremsen. Und so schoss es geradewegs auf den See und verwandelte sich so in ein Surfbrett.
»Hui, das macht aber Spaß.«, rief Nino über den See hinaus.
Er steuerte geradewegs auf die Fledermaus zu. Als er bei ihr ankam, griff er mit seinen Händen schnell zu und zog sie zu sich auf das Brett. Und nur ein paar Sekunden später rollte das Skateboard auf der anderen Seite des Sees an Land und blieb genau neben Herrn Maulwurf stehen.
Nino konnte noch immer nicht glauben, was er gerade getan hatte und dass es auch noch funktioniert hatte.
Fräulein Fledermaus hingegen war so froh, dass sie jemand aus dem Wasser geholt hatte.
»Mein Lieber Nino, ich bin dir so dankbar, dass du mir das Leben gerettet hast. Du bist ein wahrer Held.«
Sie küsste die Schnecke auf die Wange und drückte sie fest an sich.
(c) 2008, Marco Wittler
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