079. Die neuen Schuhe (Ninas Briefe 13)

Die neuen Schuhe

Hallo Steffi.

Es tut mir leid, dass sich deine Schwester beim Tanzen das Bein gebrochen hat. Ich hoffe, dass sie bald aus dem Krankenhaus entlassen wird und nach Hause kommen darf. Aber du kannst ihr schon mal erzählen, dass ich auf ihrem Gips unterschreiben werde, sobald ich in den Ferien bei euch bin.

Du kannst dir gar nicht vorstellen, was mir passiert ist, ich werde dir davon aber trotzdem berichten.
Vor einer Woche waren Mama und ich in der Stadt. Mama wollte sich für ihren Geburtstag ein neuen Kleid kaufen. Also sind wir durch ganz viele Läden gelaufen, von einem Ende der Stadt zum anderen. Es hat Stunden gedauert. Und überall hat sie Kleider anprobiert, mir vorgeführt und sie dann anschließend weg gehängt. Sie hat einfach nichts gefunden, was ihr wirklich gefiel. Und um ehrlich zu sein, die sahen alle wirklich grässlich aus.
Mama war richtig enttäuscht. Immerhin hatte sie von Papa Geld bekommen. Das wollte sie auf keinen Fall wieder mit nach Hause nehmen.
Und jetzt rate mal, was wir dann gemacht haben. Ganz genau. Wir haben wieder von vorne angefangen und sind noch einmal durch alle Geschäfte gegangen. Diesmal wollte Mama allerdings etwas für mich kaufen.
Und nun war ich diejenige, die ständig Kleider anziehen musste. Und das war wirklich schlimm. Ich kann Kleider ja überhaupt nicht leiden. Ich bin doch kein kleines Püppchen. Zum Schluss konnte ich mich doch noch durchsetzen und habe Mama eine neue rote Latzhose und einen Ringelpulli für mich kaufen lassen. Darin fühle ich mich einfach am Besten.
Als wir das Geschäft wieder verließen, hatte es gerade angefangen zu regnen. Wir hatten zwar Regenschirme dabei, aber große Pfützen gab es trotzdem in der ganzen Fußgängerzone. Und schon nach ein paar Metern hatte ich ganz nasse Füße.
Als Mama nach sah, stellte sie fest, dass ich Risse in der Schuhsohle hatte. Es wurde also dringend Zeit für ein neues Paar Schuhe.
Wir sahen uns schnell um und fanden auch bald ein Schuhgeschäft. Wir eilten schnell hin und konnten dann unsere Regenschirme einklappen.
Mama steuerte mich gleich auf einen Stuhl zu, setzte mich darauf und sagte, dass ich mir gleich die nassen Schuhe und Socken ausziehen sollte, um mir keine Erkältung zu holen.
Die Verkäuferinnen schauten vielleicht komisch, als ich mit nackigen Füßen dort saß. Mama erklärten ihnen dann aber unser Problem. Sie hatten Verständnis für meine nassen Füße und holten aus einem der Regale ein schickes Paar rosa Socken für mich. Darauf waren ein paar ganz süße Kaninchen abgebildet. Richtig schick sahen sie aus. Also habe ich sie gleich angezogen.
Wir haben bestimmt einhundert Paar Schuhe anprobiert. Aber nichts hat mir gefallen. Aber dazu muss ich auch sagen, dass Mama ziemlich hässliche Schuhe ausgesucht hat. Sie hat wirklich einen komischen Geschmack. Schließlich bin ich dann selber auf die Suche gegangen und habe sofort etwas gefunden, was mir gefiel.
Die Schuhe waren weiß und hatten rosa Pferdchen oben drauf. Richtig süß. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich habe sie gleich anprobiert und sie passten, als wären sie wie für mich gemacht.
Mama guckte mich ganz komisch an. Ihr gefielen die Schuhe gar nicht. Aber ich lies mir gar nichts anderen mehr sagen. Ich wollte sie haben und am Ende habe ich sie auch bekommen. Mama kann mir halt einfach nichts abschlagen. Überglücklich lies ich die Schuhe gleich an, während Mama an der Kasse alles bezahlte.
Als wir das Geschäft verließen, regnete es in Strömen. Es hatte nicht aufgehört. Sogar das Gegenteil war der Fall, die Wolken waren noch dichter und dunkler geworden. Es würde also noch eine ganze Weile nass bleiben.
Wir mussten also da durch, denn Mama musste sich bald um das Abendessen kümmern.
Wir öffneten unsere Regenschirme und liefen so schnell es ging durch die Stadt bis zum Parkplatz, wo unser Auto stand.
Wir sprangen fast in die Sitze, um nicht noch nasser zu werden. Mama lies den Motor an und fuhr nach Hause.

Als wir zu Hause ankamen, freute ich mich so sehr darauf, meinen kleinen Bruder Tommi mit den neuen Schuhen neidisch zu machen. Ich ging in den Flur und rief ihn gleich zu mir.
Als er vor mir stand sagte ich nicht ein Wort, sondern zeigte nur mit einem Finger auf meine Füße.
Nun geschah, womit ich nicht gerechnet hatte. Er lachte mich nämlich aus. Ich war unheimlich sauer. Jungs haben einfach keine Ahnung, was schön ist.
Doch dann sah auch ich an mir runter. Zuerst sah ich meine nassen Hosenbeine. Das Wasser aus den Pfützen war an mir hoch gespritzt. Der Stoff war bis fast an die Knie durchnässt. Und dann erblickte ich meine Schuhe. Der Atem stockte mir sofort im Hals. Ich musste schlucken. Denn da waren keine schönen Schuhe mehr. Sie waren nass, dreckig und hässlich. Sie waren völlig aufgeweicht und die Pferdchen hatten sich abgelöst. Sie hingen nun ganz traurig auf der Seite herab.
Ich brach in Tränen aus, während Tommi nicht mehr aufhörte zu lachen. Ich lief sofort in die Küche und zeigte Mama die Katastrophe.
Sie sah sofort, was geschehen war, nahm mich in ihre Arme und tröstete mich.
»Da haben wir aber einen schlechten Kaufe gemacht«, sagte sie.
Nachdem die Tränen weg waren, zog ich die Schuhe aus und warf sie wütend in eine Ecke im Flur und lief in mein Zimmer. Ich kam auch den Rest des Tages nicht mehr raus und verzichtete auf das Abendessen.
Ich wollte niemanden mehr sehen. Besonders Tommi wollte ich aus dem Weg gehen. Ich wollte nicht noch einmal ausgelacht werden.

Am nächsten Morgen konnte ich ausschlafen. Es war Samstag und ich musste nicht in die Schule. Also blieb ich so lange wie es ging im Bett liegen und trauerte noch über die kaputten Schuhe.
Doch dann wurde es immer später und ich bekam Angst, Ärger zu bekommen, wenn ich nicht pünktlich zum Mittagessen in der Küche wäre.
Als ich dort an kam, erwartete mich bereits eine Überraschung. Papa und Tommi saßen am Tisch und schienen nur auf mich zu warten. Ich war etwas verwirrt, weil ich nicht wusste, was die Beiden von mir wollten. Bis Tommi dann ein Paket hinter seinem Rücken her holte.
»Papa und ich, wir dachten uns, dass es nicht in Ordnung war, dass ich dich gestern wegen deinen Schuhen ausgelacht haben. Und deswegen möchte ich mich mit diesem Geschenk entschuldigen.«
Ich konnte gar nicht glauben, was er da sagte. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Sonst versucht er mich doch jederzeit so viel wie es geht zu ärgern. Und nun das. Ich war völlig überrascht.
Ich setzte mich an den Tisch und öffnete das Paket. Und ich konnte es gar nicht glauben. Darin war ein Schuhkarton.
»Wir haben ein neues Paar Schuhe besorgt. Und wir haben auch extra darauf geachtet, dass es besser verarbeitet ist. Die gehen bestimmt nicht im Regen kaputt.«
Ich öffnete die Schachtel und sah sie vor mir: die weißen Schuhe mit den rosa Pferdchen.
Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich fiel Tommi und Papa um den Hals und bedankte mich. So einen Bruder wünsche ich mir öfters.

So, und nun ist der Brief zu Ende. Draußen scheint jetzt die Sonne. Deswegen gehe ich jetzt meine neuen Schuhe einlaufen.

Bis bald,
deine Nina.

P.S.: Irgenwie mag ich Tommi doch ganz gern, aber bitte verrate es ihm nicht.

(c) 2008, Marco Wittler

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