Das Hexenrezept
In der gut bestückten Bibliothek, die einen großen Teil des Hexenhauses, das sich mitten im Wald befand, lagen unzählige Bücher kreuz und quer auf Tischen, Sesseln und dem großen Teppich am Boden. Dazwischen saß eine kleine Hexe und blätterte unablässig durch die Seiten. Sie war auf der Suche nach einem besonders wichtigen Rezept, dass sie irgendwann vergessen hatte. Sie versuchte nun schon seit ganzen zwei Wochen, ihr Gedächtnis wieder aufzufrischen.
»Ja!«, war die kleine Hexe plötzlich begeistert. »Das ist es. Ich habe endlich gefunden. Ich habe schon gar nicht mehr daran geglaubt.«
Jubelnd tanzte sie durch die Bibliothek, hüpfte über mehrere Buchstapel hinweg und lief dann mit einem Zettel in den Vorratsraum. Sie holte verschiedene Gläser und Büchsen aus den Regalen, schaffte sie in die Küche und warf nach und nach die einzelnen Zutaten in ihren großen Kupferkessel, der über einem großen Feuer hing. Mit einem langen Löffel rührte sie immer wieder herum und sprach pausenlos die Beschwörungsformeln, die sie so lang gesucht hatte.
Im Sud des Kessel blubberte es. Schwerer Dampf waberte durch die kleine Küche. Nebel wallte auf und verschluckte die Sicht von der einen zur anderen Seite. Es sollte bis zum Abend dauern, bis die Hexerei ihr Ende fand.
»Es ist vollbracht.«
Die kleine Hexe wischte sich dicke Schweißperlen von der Stirn und lächelte erschöpft. Sie hatte all ihre Kraft verbraucht und wünschte sich nur noch eine warme Mahlzeit und danach ein weiches Bett zum Schlafen.
Vorsichtig griff sie in den Kessel und hob ein frisches Brot heraus.
»Wie lange ich das schon nicht mehr gegessen habe. Darauf habe ich mich schon seit Wochen gefreut.«
Sie legte das Brot auf einen Tisch, nahm sich ein Messer und schnitt es in der Mitte durch.
»Was ist denn das?« Sie erschrak. Offenbar hatte sie das falsche Rezept gefunden. »Wie eklig. Da sind ja Rosinen drin. Ich mag doch gar keine Rosinen.«
Enttäuscht legte sie Brot und Messer zur Seite und ging hungrig in ihr Bett.
(c) 2021, Marco Wittler
Antworten