Flaschenpostbote Knut hat eine unglaubliche Begegnung
Flaschenpostbote Knut war weit draußen. Er hatte die Stadt unter dem Meer für die letzte Flaschenpost des Tages verlassen und war nun auf dem durch die dichten Algenwälder. Es gab hier nur einen sehr schmalen Pfad, der zu beiden Seiten kaum Platz bot. Dafür konnte man sich aber auch nicht verschwimmen. Man konnte nur vor und zurück. Trotzdem war es dem Meermann hier nicht ganz geheuer. Ständig hörte man Geräusche deren Ursprung man nicht sehen konnte. Hinter jedem grünen Gewächs konnten sich diese nervigen und verspielten Otter und Seelöwen versteckt halten. Mit denen hatte er schon oft genug unschöne Begegnungen gehabt. So manches Mal hatten sie die Sendungen des Flaschenpostboten aus dessen lederner Umhängetasche gestohlen, um sie als Spielzeuge zu missbrauchen.
»Dieses Mal bin ich aber vorbereitet. So schnell lasse ich mich nicht wieder aufs Kreuz legen.«
Knut schwamm weiter und schaffte es tatsächlich völlig unbehelligt durch den Wald. Und nun stand er vor einer großen und tiefen Höhle, deren Inneres er wegen ihrer Dunkelheit nicht erkennen konnte.
»Hallo?«, rief er unsicher. »Ist hier jemand? Ich habe eine Flaschenpost auszuliefern und suche den Empfänger, der sich hier aufhalten soll.«
Es gab keine Antwort. Der alte Meermann schluckte seine Angst herunter, griff in seine lederne Umhängetasche und holte einen Anglerfisch daraus hervor, den er als Taschenlampe benutzte. »Schalte dein Licht in der Höhle bloß nicht aus.«, mahnte Knut seinen Begleiter.
»Nie im Leben.«, kam die zittrige Antwort des Fischs. »Ich würde mir vor Angst sofort in die Hosen machen.«
Gemeinsam schwammen sie ins Innere. Die Dunkelheit verschluckte die Beiden sofort. Meter um Meter tasteten sie sich vorwärts und warfen immer wieder Blicke in kleinere Gänge zu beiden Seiten.
»Moment mal. Glimmt da vorn ein kleines Licht?«
Tatsächlich hatte Knut jemanden oder etwas entdeckt. Sie schwammen direkt darauf zu.
»Hallo?«, rief er noch einmal. »Sind wir hier richtig? Warten Sie auf eine Flaschenpost?«
Sie erreichten einen alten Meermann mit grauem Haar, dass er nur schwer unter seiner ebenfalls grauen Schirmmütze verstecken konnte. Er sah auf und musterte Knut und den Anglerfisch. Dann sah er auf das vergilbte Pergament, das vor ihm lag und schließlich zurück zu Knut.
»Du bist der Flaschenpostbote?«, fragte er unsicher. »Es gibt dich wirklich? Du bist echt?« Begeistert sprang er auf, umrundete sein Gegenüber mehrmals, bis er ihn grinsend mit der Hand am Gesicht berührte. »Ist dein Name Knut?«
Jetzt wurde es wirklich verrückt. Woher kannte dieser Fremde Knuts Namen? Er nickte aber.
»Oh, entschuldige.« Der Höhlenmeermann nahm etwas Abstand. »Ich bin Geschichtenschreiber und denke mir tagtäglich neue Abenteuer aus, die vielleicht irgendwann von irgendwem gelesen werden. Um genug Ruhe zu finden, habe ich mich in diese Höhle verzogen. Hier findet und stört mich niemand. Aber dafür bin ich auch die ganze Zeit allein. Aber dass es ausgerechnet Flaschenpostbote Knut ist, der mich hier findet, damit hätte ich niemals gerechnet.«
Der Geschichtenerzähler nahm das Pergament vom Tisch und reichte es Knut, der es annahm und las. Es war die Geschichte eines Flaschenpostboten namens Knut, der tagein und tagaus den Bewohnern der Stadt unter dem Meer Briefe zustellte.
»Ich habe dich mir ausgedacht. Seit einem Monat schreibe ich Geschichten über dich. Jeden Tag denke ich mir zwei neue Abenteuer für dich aus. Sechzig Stück sind es mittlerweile an der Zahl. Dass ich dich aber dann tatsächlich treffen werde, dass ist so unglaublich wie deine Erlebnisse.«
Knut überflog das Pergament. Dort stand wirklich alles, was er in den dreißig Tagen erlebt hatte.
Knut fehlten die Worte. Das, was hier gerade geschah, übertraf einfach alles. War das nun das reale Leben oder einfach nur die Fantasie eines Mannes, der in einer dunklen Höhle lebte und Geschichten schrieb. Er konnte es nicht beantworten. Mit gemischten Gefühlen holte er die letzte verbliebene Flaschenpost aus seiner Tasche und überreichte sie. Dann kniff er sich fest in seinen Arm und schreckte hoch. Er war in seinem Bett aufgewacht.
»Beim Neptun!«, rief er laut. »Es war nur ein Traum.«
Er warf einen Blick zum Wecker, wollte wissen, wie spät es war und sah dann dieses Pergament, das am Abend noch nicht dort gelegen hatte. Es lief ihm eiskalt über Rücken und Schwanzflosse.
Über dem Text stand in großen Buchstaben die Überschrift: Flaschenpostbote Knut hat eine unglaubliche Begegnung.
(c) 2021, Marco Wittler
Bild: Nik Karlov auf Pixabay
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