1148. Das Geisterportal

Das Geisterportal

In der alten Burg, die sich auf einem Hügel oberhalb eines kleinen Dorfes befand, entstand große Aufregung. Pünktlich zur Geisterstunde schob der Mond die Wolken zur Seite, damit er und seine Sterne etwas sehen konnten. Zur gleichen Zeit wachten die kleinen Geister, die sich tagsüber auf dem Dachboden versteckt hielten; auf und wirbelten wild durcheinander.
»Jetzt ist es endlich so weit.«
»Ich halte die Spannung kaum noch aus.«
»Wird es weh tun oder spürt man nur ein Kitzeln?«
Es gab so viele Fragen und noch mehr freudige Erwartung. Sie sprachen alle durcheinander.
»Ist es denn tatsächlich heute schon so weit?«
Der Blick auf den Kalender an der Wand, der schon seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr gewechselt worden war, gab die Gewissheit. Heute war tatsächlich die Nacht der Nächte angebrochen. Heute Nacht würde es nach so langer Wartezeit endlich passieren.
Die kleinen Geister schwebten durch die dicken Burgmauern nach draußen, flogen in alle Richtungen und umkreisten einen Punkt, der sich mitten in der Luft befand. Nach ein paar Minuten bildete sich ein heller, leuchtender Punkt in ihrer Mitte, der schnell größer wurde und sich zu einer großen Scheibe ausdehnte.
»Es ist so weit, es ist so weit.«
Das Portal in die Geisterwelt war geöffnet. Ab diesem Augenblick konnten sie von der einen Seite zur anderen reisen und sich mit anderen Geistern treffen. Sie schwebten auf die Scheibe zu, wollten sie gerade durchdringen, als ein großer, grimmig drein schauender Geist aus dem Inneren hervor kam und den Weg versperrte.
»Darf ich bitte eure Tickets sehen? Ohne gültiges Ticket darf niemand zur Geisterwelt reisen.« Er sah sich um und begann laut zu lachen. »Heute Nacht werde ich niemanden durch mein Portal reisen lassen. Ihr bleibt, wo ihr seid.«
Die kleinen Geister waren nicht nur überrascht, sondern auch verängstigt und verzweifelt. Sie hatten so lang gewartet und nun durften sie nicht an dieser Erfahrung teilnehmen.
»Aus dem Weg!«, war plötzlich eine Stimme zu hören. Ein besonders großer Geist bahnte sich den Weg durch die Menge und schwebte auf das Portal zu. »Ich habe eine Dauerkarte. Ich darf so oft zwischen den Welten wechseln, wie ich möchte.«
Kurz bevor er in der leuchtenden Scheibe verschwand, drehte er sich noch ein letztes Mal um, grinste breit und warf unzählige weitere Tickets in die Menge.
»Ich wünsche euch ganz viel Spaß. Folgt mir in die Geisterwelt.«
Großer Jubel brandete los. Die kleinen Geister überrannten regelrecht den Portalhüter und ließen allein über der alten Burg zurück.

(c) 2021, Marco Wittler

Diese Geschichte wurde von einem Bild von der wundervoll kreativen Hendrike (@fuchsfamos bei Twitter) inspiriert.

https://twitter.com/fuchsfamos/status/1450163728855535622?s=20

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