Der Tag, an dem sich Mama und Papa kennengelernt haben
Ben stand hinter der Ladentheke und war gerade dabei, einen Blumenstrauß für eine Kundin zu binden, die diesen bei einer Geburtstagsfeier verschenken wollte. In diesem Moment betrat eine weitere Frau, den Laden. Sofort zog sie Ben unbewusst in ihren Bann. Er musste immer wieder zu ihr rüber schauen.
Er beeilte sich, den Strauß fertig zu bekommen, ließ die Kundin bezahlen. Dann waren sie nur noch zu zweit im Blumenladen.
»Kann ich ihnen irgendwie helfen?«, fragte Ben unsicher und wusste nicht, wie er die neue Kundin in ein Gespräch verwickeln sollte.
»Ich schaue mich noch um. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, was ich haben möchte. Ich melde mich aber, wenn ich jemanden brauche.«
Schade. Das hatte sich Ben einfacher vorgestellt. Er versuchte sich ein wenig abzulenken, indem er seine Theke aufräumte, konnte sich aber nicht richtig konzentrieren. Spürte er etwa Schmetterlinge in seinem Bauch? Das konnte doch gar nicht sein. Das hatte er schon seit langer Zeit nicht mehr erlebt. Hatte er das überhaupt schon einmal verspürt?
Die Kundin nahm sich einen Korb, packte einen kleinen Blumenkübel und etwas Blumenerde hinein.
»Entschuldigung!«, rief sie. Ben fiel ein Stein vom Herzen. Schnell kam er hervor. Endlich hatte er die Chance auf ein Gespräch.
»Wo finde ich denn Blumensamen? Ich sehe hier keine.«
»Die habe ich hinter der Theke und kann sie direkt abfüllen. Was soll es denn sein?«
Sie überlegte. »Ich weiß es eigentlich nicht genau. Ich möchte einfach etwas haben, das blüht und mir etwas Farbe in meine langweilige Wohnung bringt. Kann man Gänseblümchen im Topf halten?«
Ben nickte. »Die sind sogar sehr einfach zu halten.«
Er ging wieder hinter die Theke, holte einen Kasten hervor und füllte ein paar Samenkörner in ein Tütchen.
»Bitteschön. Haben sie sonst noch einen Wunsch?«
Hatte sie nicht. Also kassierte er das Geld für Samen, Erde und Kübel.
Während sie sich der Tür zu wand und sich verabschiedete, nahm Ben noch etwas Mut zusammen. »Manchmal überbringen Blumen eine Botschaft. Vielleicht werden ihre Blumen das eines Tages auch machen. Man kann nie wissen.«
Die Kundin überlegte kurz, zog die Stirn in Falten. »Ja, vielleicht.«
Es vergingen ein paar Wochen. Die junge Frau, Leonie war ihr Name, stand verwirrt am Fenster vor ihrem Blumentopf. Das, was dort wuchs konnte alles Mögliche sein, Gänseblümchen waren es aber bestimmt nicht. Die Pflanzen waren bereits viel zu groß geworden. Sie hatte schon überlegt, sich im Blumenladen zu beschweren, war dann aber doch zu neugierig, welche Samen sie eingepflanzt hatte.
Nach ein paar Tagen öffneten sie an ganz vielen Stellen kleine Blüten in Rot und Weiß. Leonie betrachtete die von allen Seiten. »Die schauen aus wie kleine Herzen.« Sie riss die Augen auf. Plötzlich erinnerte sie sich wieder an die Worte, die der Blumenverkäufer zu ihr gesagt hatte. War das etwa die Botschaft?
Benn stand, wie an jedem Tag, in seinem Blumenladen. Wieder einmal band er einen schicken, bunten Blumenstrauß, als sich die Tür öffnete.
Da war sie wieder. Die Kundin, die ihm den Kopf verdreht und ihr die falschen Samen verkauft hatte, stand nun wieder vor seiner Theke. Wortlos wartete sie, bis die Dame neben ihr fertig war und den Laden verlassen hatte.
Ben schluckte schwer. Auf diesen Moment hatte er lange gewartet, war aber dann doch nicht darauf vorbereitet gewesen.
»Die sind von dir, oder?«, fragte Leonie und hob eines der Blütenherzen in die Luft.
»Das sind tränende Herzen.«, sagte Ben. »Haben sie dir gefallen? Haben sie dir eine Botschaft überbracht?«
Leonie blickte nachdenklich nach oben und begann zu lächeln. »Ich habe sie nicht sprechen gehört. Ich glaube aber, dass jemand anderes durch die Blume zu mir sprechen wollte.«
Ben wurde knallrot im Gesicht. Er brachte kein einziges Wort mehr heraus, also machte Leonie den nächsten Schritt.
»Ich bin es ja eigentlich gewohnt, dass ein Mann mich fragt, aber ich versuche einfach mal mein Glück. Hast du vielleicht Lust auf ein Date mit mir? Ich glaube, ich möchte dich kennenlernen.«
Ben atmete auf. Genau das hatte er sich gewünscht, hätte sich aber nie getraut. Er nickte schnell. »Super gerne. Ich bin übrigens Ben.«
Leonie nickte. »Ich weiß. Das steht auf deinem Namensschild. Ich heiße Leonie.«
Sie beugte sich vor, zückte den Kugelschreiber aus Bens Brusttasche, nahm sich einen Zettel, der auf der Theke lag und schrieb ihm ihre Telefonnummer auf.
»Ruf mich an, Ben.«
Sie zwinkerte ihm zu und verließ den Laden.
(c) 2022, Marco Wittler
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