1231. Papas Gutenachtgeschichte

Papas Gutenachtgeschichte

Papa setzte sich auf die untere Matratze des Etagenbetts, machte es sich gemütlich und suchte eine bestimmte Seite in dem Buch, das er mitgebracht hatte.
»Ich glaube, wir haben Gestern an dieser Stelle aufgehört.« meinte er sich zu erinnern. »Heute ist das Märchen von den Froschzahnschmerzen dran.«
Seine beiden Kinder Mischa und Alex setzten sich neben ihn und kuschelten sich an, während Mama im Sessel gegenüber Platz genommen hatte.Mama
»Ich bin gleich so weit.«, sagte Mama. Ich muss nur noch schnell eine Nachricht schreiben.« Sie tippte noch ein paar Sekunden auf dem Display ihres Handys und legte es dann zur Seite. »Jetzt kann du die Geschichte vorlesen. Wir sind ganz Ohr und hängen an deinen Lippen.«
»Ich freue mich wirklich sehr, dass ihr euch meine Geschichten anhört. Nur deswegen habe ich überhaupt angefangen, sie zu schreiben.« Papa seufzte einmal. »Ich glaube, ich sage es nicht zum ersten Mal, aber ich sage es immer wieder gern. Es ist toll euch als Publikum zu haben. Ich würde so gern eine richtige, echte Lesung machen, vor wildfremden Menschen, die nur wegen meiner Geschichten zuhören. Aber das würde ich mich nie trauen. Mein Lampenfieber ist einfach viel zu groß.«
Papa seufzte ein zweites Mal,bevor er zu lesen begann.
Zehn Minuten hörten Mama und die Kinder gebannt zu. Vom Frosch, der unter starken Zahnschmerzen litt und Hilfe von einer kleinen Fliege bekam, hatten sie noch nie gehört. Die Geschichte endete völlig unerwartet und kam richtig gut an.
»Und jetzt wird es Zeit, dass wir alle ins Bett verschwinden und schlafen.«
Plötzlich hörte Papa einen lauten Applaus, der in einem vielstimmigen Gute Nacht Wunsch endete.
»Was ist denn hier los?«, fragte Papa verwirrt. Im Kinderzimmer war doch sonst niemand.
Grinsend drehte Mama ihr Handy um und zeigte ihm das Display. Sie hatte ohne Papas Wissen eine große Videokonferenz gestartet. Ihm winkten nun ganz viele Familien zu, die alle in ihren Kinderzimmern saßen und dem Märchen von den Froschzahnschmerzen gelauscht hatten. Papa hatte wohl nun doch seine erste echte Lesung gehalten, ohne es gewusst zu haben. Er wurde knallrot im Gesicht, begann verlegen zu lächeln und neigte kurz seinen Kopf. »Vielen Dank. Ihr wart ein wundervolles Publikum. Ich hoffe, dass ihr mir auch beim nächsten Mal wieder zuhören werdet.«
Er klappte sein Buch zu und verabschiedete sich.

(c) 2022, Marco Wittler

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