Flaschenpostbote Knut und der Ruf der Sirenen
Flaschenpostbote Knut hatte sich seine Uniform glatt gezogen, die Ledertasche umgehängt und seine Dienstmütze auf den Kopf gesetzt. Jetzt musste er sich nur noch einmal über seinen breiten Schnauzbart streichen, bevor es auf seine Tour ging.
Knut verließ das Flaschenpostamt und schwamm gemächlich durch die Straßen der Stadt unter dem Meer. Weit kam er allerdings nicht. Ein laut Donnern und Dröhnen erfüllte das Wasser. Kräftige Schwingungen prallten gegen Knuts Körper und ließen ihn schaudern. Irgendwas war geschehen, nur was?
Der alter Meermann sah sich um. Aus welchem Stadtteil war das gekommen? Oder war irgendwas in den Seegraswiesen oder im Seetangwald geschehen?
Ein Schatten senkte sich von der Wasseroberfläche herab. Ein Schiff der Landmenschen war wohl gegen das nahe Riff gefahren und sank nun. Hoffentlich hatten alle Seefahrer das Unglück überlebt.
Ein weiteres Donnern ertönte. Ein zweites Schiff fuhr auf das Riff, dann ein drittes. »Bei Neptun! Was geschieht denn da oben? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.«
Der Flaschenpostbote Knut schwamm zur Oberfläche hinauf. Er tauchte aus dem Wasser auf und sah zum Riff hinüber. Dort saßen mehrere Meerjungfrauen auf dem Trockenen und sangen mit Leibeskräften. Es war der Chor der Sirenen.
Knut schwamm sofort hin und zog sich aus dem Wasser. »Ihr könnt doch nicht hier oben singen.«, war er sauer und schimpfte. »Jedes Mal lenkt ihr mit euren schönen Stimmen die Seeleute ab und lasst sie auf das Riff krachen. Wie oft soll euch der Bürgermeister das noch verbieten? Ihr habt im Keller des Rathauses einen Proberaum. Also ab mit euch.«
Die Meerjungfrauen verdrehten die Augen, folgten aber der Anweisung des Flaschenpostboten. Für’s Erste kehrte wieder Ruhe auf den Schifffahrtswegen ein.
(c) 2022, Marco Wittler
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