1347. Wo endet der Zauberwald?

Wo endet der Zauberwald?

An einem lauen Sommerabend saßen Frau Schnecke und Herr Fuchs gemeinsam am Lagerfeuer nebeneinander. Sie blickten in die Sterne und erzählten sich gegenseitig Geschichten über ihre Heimat, den Zauberwald. Mal ging um eine Geister, deren Laken vor Angst zitterten, mal um kleine vorwitzige Monster, die es in allen Farben des Regenbogens gab. Und dachten dachten sie darüber nach, welche Geheimnisse ihre kleine Welt noch niemandem Preis gegeben hatte.
»Wo endet der Zauberwald?«, fragte Frau Schnecke nach einer Weile. »Wir leben hier tagein und tagaus und doch haben wir noch nie die großen, stattlichen Bäume hinter uns gelassen. Ich würde so gerne wissen, was es hinter dem Wald zu entdecken gibt.«
Herr Fuchs schloss die Augen, dachte eine Weile schweigend nach und sah Frau Schnecke an. »Unser Zauberwald hat kein Ende, er ist immer und überall. Es gibt kein Außerhalb, dass anders ist.«
»Hast du das schon mit eigenen Augen gesehen?«
Herr Fuchs lachte. »Wie soll ich denn etwas gesehen haben, dass es nicht gibt?«
Doch damit wollte sich Frau Schnecke nicht zufrieden geben. »Ich möchte, dass du mit mir auf die Suche nach dem Ende des Zauberwaldes gehst. Ich bin allein viel zu langsam.«
Herr Fuchs seufzte, stimmte aber dennoch zu. Er konnte seiner besten Freundin einfach keinen Wunsch abschlagen. Also löschten sie die Flammen des Lagerfeuers und brachen noch in der Nacht auf.
Während Herr Fuchs die lange Wanderung übernahm, saß Frau Schnecke auf seiner Schulter und versorgte ihren besten Freund mit allerlei Leckereien, die sie aus der Vorratskammer ihres Schneckenhauses holte. Der Weg, den sie beschritten, dauerte wenige Minuten, die zu Stunden wurden und die Stunden wiederum zu Tagen. Sie kamen an unzähligen Bäumen vorbei, deren Zahl so unvorstellbar große war, dass man sie nicht mehr zählen konnte. Dabei kletterten sie sogar über noch mehr Wurzeln und sprangen über so manchen Bach.
»Ob wir das Ende des Zauberwaldes jemals erreichen werden?« Frau Schnecke war sich mittlerweile nicht mehr sicher, ob sie mit ihren Gedanken am Lagerfeuer recht behalten sollte. Vielleicht war ihre Heimat endlos oder sie liefen seit geraumer Zeit im Kreis.
»Ich glaube, dort vorn lichtet sich der Wald.«, sagte Herr Fuchs. Die Bäume weichen auseinander und die Büsche werden weniger. Ich glaube, wir sind dem Ende ganz nah.«
Sie beiden Freunde gingen den eingeschlagenen Weg weiter und umrundeten einen letzten Busch, hinter dem der Zauberwald viel plötzlicher endete, als sie es erwartet hatten. Herr Fuchs trat mit seinen Füßen ins Leere und konnte sich so schnell nicht mehr irgendwo festhalten. Er stürzte mich Frau Schnecke in die Tiefe, denn hier war nicht nur der Zauberwald zu Ende, sie hatten den Rand ihrer Welt überschritten.
Fuchs und Schnecke schrien. Sie wussten, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Einen Augenblick später landeten sie in einer großen, weichen Hand, die zu einem riesigen Monster gehörte. Es lag auf dem Rücken. Auf seinem dicken Bauch ruhte der Zauberwald.
Neugierig betrachtete es Frau Schnecke und Herrn Fuchs. »Ihr seid mir aber zwei unvorsichtige Forscher. Tretet einfach ins Leere.« Es lächelte freundlich. »Habt keine Angst. Solang ich über den Zauberwald und seine Bewohner wache, wird euch nichts passieren. Passt bitte trotzdem auf, wohin ihr geht.« Es setzte die beiden Geretteten wieder an den Rand des Waldes, winkte ihnen zum Abschied und sah zu, wie Fuchs und Schnecke zwischen den Bäumen und Büschen verschwanden.

(c) 2022, Marco Wittler

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