1518. Willy Cowboywurm

Willy der Cowboywurm

Vom Horizont näherte sich eine Staubwolke der kleinen Stadt Carson City, die nicht mehr war, als ein grauer Fleck im einheitlichen Sandgelb der Wüste.
Pferdegetrappel drang an die Ohren der Bewohner, die hinter vorgehaltenen Händen zu flüstern begannen. »Er kommt. Er wird uns aus den Fängen des Dreckigen Dutzends befreien.«
Das Dreckige Dutzend, die schlimmste Verbrecherbande jenseits des Mississippi hatte den Ort seit Tagen in ihrer Hand und versuchte, ein fettes Lösegeld zu erpressen.
Der Anführer der Banditen blickte auf, sah durch dünne Augenschlitze zum Stadtrand. Er wusste, wer da auf sie zukam. Es konnte nur Willy der Cowboywurm sein, der einzige Held im Wilden Westen, der unerschrocken genug war, sich einer Verbrecherbande entgegenzustellen.
Das Pferd stoppte vor dem Saloon. Willy glitt aus dem Sattel, kam auf dem staubigen Boden zum stehen.
»Ihr habt drei Sekunden, Carson City zu verlassen, dann schieße ich euch über den Haufen.« Willy hielt dem bohrenden Blick seines Gegenübers stand und spuckte ihm als Zeichen der Verachtung vor die verschlissenen Stiefel, die schon bessere Zeiten gesehen hatten.
»Eins!«
Die Bürger der kleinen Stadt kamen in Bewegung, liefen los, versteckten sich in kleinen Gassen und hinter knarzenden Türen. Wer besonders mutig war, wagte einen Blick durch blinde Fenster.
»Zwei!«
Der Anführer des Dreckigen Dutzends wurde nervös. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, rannen ihm über die Wangen, tropften herab und verdampften zischend in der prallen Sonne, bevor sie den Boden erreichten. Seine Hand legte sich zitternd auf seinen Colt, der noch im Pistolengurt steckte. Er wollte, er musste als Erster ziehen und abdrücken, wenn er den verdammten Wurm überleben und ihn zur Hölle schicken wollte.
»Drei!«
Der Verbrecher zog, stutzte, legte verwirrt den Kopf schief und begann zu lachen.
»Was? Verdammt noch mal.« Willy schimpfte und fluchte, so laut er nur konnte. Er kam nicht an seine Waffe heran. Auf wenn er sie um die Hüfte geschnallt hatte, fehlten ihm Arme und Hände, um sie zu ziehen.
»Ähm … also … wir sollten das Duell auf einen anderen Tag verschieben, sobald ich Chancengleichheit habe. Ich muss dringend mit der Evolution sprechen, die etwas bei mir vergessen hat. Vielleicht habe ich bis nächste Woche doch noch ein paar Hände zur Verfügung.«
Willy wollte sich gerade in einer dunklen Ecke verkriechen, als er eine zierlich Hand an seinem Pistolengurt entdeckte. Blitzschnell wurde der Colt gezogen und der Abzug betätigt. Die Bleikugel raste mit einem lauten Knall aus dem Lauf und schlug wenige Millimeter vor den Stiefeln des Verbrechers in den Boden ein. Ein kleine Staubwolke erhob sich und nahm ihm für einen kurzen Augenblick die Sicht.
»Und jetzt verzieht euch. Die nächste Kugel wird ihr Ziel garantiert treffen. Diese Stadt gehört uns.«
Willy sah sich verblüfft um. Hinter ihm stand eine junge Maus in einem langen, wallenden Kleid, die Kellnerin des Saloons. Er nickte ihr zu, kroch zur Seite und gab ihr damit freies Schussfeld.
Die Mitglieder des Dreckigen Dutzends ließen wortlos ihre Waffen sinken. Sie sattelten ihre Pferde und verschwanden augenblicklich aus der Stadt.

(c) 2023, Marco Wittler

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