1698. Der kleine und der große Klaus

Der große und der kleine Klaus

Der kleine Klaus hatte heute eher schulfrei und ging mit seinen Freunden in die Eisdiele seiner kleinen Stadt. Sie mussten nur von der kleinen Schule im Zentrum, die sich direkt neben dem kleinen Rathaus befand, die Hauptstraße überqueren und in die kleine Straße einbiegen.
»Hm, ist ja schon irgendwie seltsam.«, wunderte sich der kleine Klaus. »Hier ist alles ganz schön klein. Die Schule, das Rathaus, die Straßen und ich. Hoffentlich ist mein Eis nachher umso größer.« Er dachte noch einen Moment darüber nach, fragte sich, warum das wohl so war und zuckte schließlich mit den Schultern. Es gab Wichtigeres, über das man sich den Kopf zerbrechen musste. Immerhin würden sie gleich vor der Entscheidung stehen, welche Eissorten sie haben wollten.
Während die anderen Kinder durch die Eingangstür stürmten, blieb Klaus davor stehen und schaute sich um. Hatte sie hier etwas verändert? Er blickte zum Schild hinauf. Eiscafé zum großen Klaus. Tatsächlich. Der Besitzer hatte gewechselt. Beim letzten Mal hatte hier noch Klein Venedig gestanden und … war das Gebäude nicht auch ein ganzes Stück kleiner gewesen? Seltsam.
Klaus folgte seinen Freunden, die schon fleißig ihre Bestellungen aufgaben. Ihn selbst überforderte die Auswahl. Hatte er sonst aus den zehn Sorten, die es im Klein Venedig gegeben hatte, immer Erdbeere und Schokolade ausgesucht, erwartete ihn nun eine Auswahl, die man kaum fassen konnte. Die Eistheke reichte von der Tür bis … ja, wo endete sie eigentlich? Der Laden schien gar kein Ende mehr zu nehmen.
»Was kann ich für dich tun?« Ein großer, dicker Mann, mit einem langen, weißen Rauschebart im Gesicht, beugte sich vor und sah Klaus direkt in die Augen. »Im großen Klaus gebe ich das Versprechen, für jeden Gast die passende Sorte vorrätig zu haben. Hier wird jeder glücklich.« Er zwinkerte. »Ich bin übrigens der große Klaus.«
Dem kleinen Klaus wären beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. »Du … du … du bist … du siehst aus wie …«
Der große Klaus lachte, zwinkerte erneut und klopfte sich mit den Händen auf seinen Bauch. »Das liegt an dem hier. Mir schmeckt mein eigenes Eis ganz besonders gut. Ansonsten hab ich mit ihm aber nicht viel gemeinsam. Ich habe keinen roten Mantel im Schrank und einen Rentierschlitten wirst du in meiner Garage auch nicht finden. Aber bevor ich jetzt noch weiter erzähle, welche Sorten hättest du gern in deiner Waffel, kleiner Klaus?«
Klaus Augen wurden noch größer. Woher kannte der Mann seinen Namen? Er hatte sich nicht vorgestellt. Was ging hier vor?
»Ähm … ähm … ich weiß es nicht. Hier ist so viel Eis, dass ich mich überhaupt nicht entscheiden kann.« Er lief an der Theke auf und ab, traute sich aber nur wenige Meter hin und her. Zu groß war die Angst, irgendwo in der Unendlichkeit zu verschwinden und nie wieder daraus zurückzukehren.
»Ich habe da eine Idee.« Der große Klaus streckte dem kleinen Klaus die Hand entgegen. »Wir machen jetzt mal eine große Ausnahme. Eigentlich darf nur ich hier hinten stehen. Heute lade ich dich ein, dir das Eis ganz aus der Nähe anzusehen, seinen Duft zu schnuppern und dann deine Entscheidung zu treffen. Deine Freunde dürfen zuschauen und dir Tipps geben.«
Klaus nickte und schlüpfte durch einen schmalen Durchgang, der … der vor ein paar Sekunden noch nicht an dieser Stelle gewesen war.
Gemeinsam schritten sie die Eistheke ab. Der große Klaus erklärte die einzelnen Sorten, nannte ihre Namen und ließ seinen kleinen Gast immer wieder schnuppern, doch das machte die Sache nicht gerade einfacher.
Kurzerhand schnippte der große Klaus mit den Fingern, wodurch sich alles veränderte. Die Wände der Eisdiele verschwanden und machten einem massiven, gefrorenen Berggletscher Platz. Der Boden, auf dem sie sich befanden, bestand aber nicht aus normalem, sondern aus leckerem Speiseeis in allen Farben, die man sich nur vorstellen konnte.
»Am Besten wird es sein, wenn wir uns in meinen Schlitten setzen. Dann schaffen wir es ohne Zeitverzögerung bis zur Unendlichkeit der Leckereien.«
Der kleine Klaus drehte sich um. Hinter ihm stand er, der Schlitten mit den Rentieren. »Ich wusste es. Du bist Santa Claus.«
»Ich bin nur der große Klaus.«, sagte der große Klaus und zwinkerte wieder mit dem Auge, während er sich einen roten Mantel überzog und eine dazu passende Mütze auf den Kopf setze.
Sie kletterten auf die weichen Polster, legten Sicherheitsgurte an. Die Rentiere nickten und gaben Gas. Mit ho-ho-hoher Geschwindigkeit raste der Schlitten über das Eis hinweg, während der große Klaus die Sorten aufzählte, immer wieder einen Löffel nach unten hielt und seinen kleinen Fahrgast probieren ließ. Die Freunde saßen am Rand auf einer Tribüne und feuerten das ungleiche Duo mit lauten Stimmen an.
»Klaus? Hallo Klaus?«
Der kleine Klaus schreckte hoch und rieb sich die Augen. Der Berg, der Gletscher, der Schlitten mit den Rentieren, alles war verschwunden. Er stand wieder in der Eisdiele vor der riesigen Theke.
»Jetzt entscheide dich mal.«, drängelte einer seiner Freunde. »Mein Eis ist gleich geschmolzen und du hast dir noch immer nichts ausgesucht.«
Klaus wurde rot im Gesicht, sah auf die unendlich vielen Eissorten herab und wählte zwei von ihnen aus. »Erdbeere und Schokolade bitte.«
Der große Klaus nickte, formte zwei extra große Kugeln, die er auf eine Waffeltüte presste und reichte sie über die Theke. »Einmal Klaus spezial. Bitteschön.«
Der kleine Klaus tauschte ein paar Münzen gegen das Eis und wollte gerade das erste Mal probieren, als er etwas entdeckte, dass es eigentlich nicht geben sollte. Auf dem Eis stand ein kleiner Schlitten mit Rentieren davor. Auf den Polstern hatten Santa Claus und ein Kind Platz genommen, die jubelnd auf der Kugel herabfuhren und irgendwo in der Tiefe verschwanden.
Er schaute auf, blickte zum großen Klaus, der zwinkerte und einen Zeigefinger auf die Lippen legte. »Schhhhhh.«

(c) 2025, Marco Wittler

Unser Score
Klicke, um diesen Beitrag zu bewerten!
[Gesamt: 1 Durchschnitt: 4]

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*