463. Die Frau mit dem weißen Handschuh

Die Frau mit dem weißen Handschuh

Emma und Paul saßen am Strand und beobachteten den Leuchtturm, der nur ein paar hundert Meter entfernt stand. Paul sah immer wieder auf seine Armbanduhr. Er schien auf etwas zu warten.
»Gleich ist es wieder soweit. Es dauert nicht mehr lange. Nur noch fünf Minuten.«
Emma war schon sehr neugierig, denn ihr Bruder hatte noch nicht verraten, worum es ihm eigentlich ging. Sie warteten also, während die Zeiger der Uhr weiter tickten.
»Nur noch ein paar Sekunden.«, flüsterte Paul.
»Fünf, vier, drei, zwei, eins, null. Jetzt kommt sie.«
Paul zeigte mit seinem Finger zum Deich. Genau in diesem Moment kam eine Frau von der anderen Seite zum Vorschein. Sie ging mit schnellen Schritten auf den Leuchtturm zu, öffnete dessen Tür und verschwand in seinem Inneren.
»Was ist da jetzt Besonderes dran?«, wollte Emma enttäuscht erfahren.
»Die Frau kommt jeden Freitag um Punkt drei Uhr und sechszehn Minuten. Nicht früher und nicht später. Und falls du es übersehen haben solltest, die zog sich vor dem Betreten einen einzelnen weißen Handschuh über die rechte Hand. Für die linke hat sie keinen. Sie wird jetzt elf Minuten bleiben und kommt dann wieder raus. Dabei zieht sie dann auch den Handschuh wieder aus und verschwindet hinter dem Deich.«
Emma sah Paul an. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Das ist Blödsinn. Das hast du dir doch bestimmt ausgedacht.«
Aber wegen ihrer großen Neugier blieb sie trotzdem am Strand sitzen, warf immer wieder einen Blick auf die Uhr und wartete. Als die Zeiger drei Uhr siebenundzwanzig zeigten, öffnete sich die Tür wieder und die Frau kam nach draußen. Emma wollte es nicht glauben, aber die Frau zog tatsächlich den weißen Handschuh aus und steckte ihn in ihre Handtasche.
»Jeden Tag macht sie das. Ich beobachte das schon seit vier Wochen.«, erklärte Paul.
»Ich habe bis heute nicht herausgefunden, warum sie das macht. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie verrückt mich das macht.«
Emma grinste über das ganze Gesicht.
»Dann finden wir es doch einfach heraus.«
Sie sprang auf und lief zum Leuchtturm.
»Halt. Nicht.«, aber Paul konnte Emma nicht aufhalten.
Das Mädchen blieb erst stehen, als es die Frau erreicht hatte. Völlig aus der Puste fragte Emma nach dem Handschuh. Paul konnte vom Strand aus nicht hören, worüber sich die beiden unterhielten. Er konnte nur sehen, dass die Frau lachte und dabei immer wieder zu ihm rüber sah.
Ein paar Minuten später kam Emma grinsend zurück an den Strand und setzte sich schweigend auf den warmen Sand. Als sie nach ein paar Sekunden immer noch nichts erzählte, platzte es aus Paul heraus.
»Und? Nun sag doch schon.«
Emma musste lachen.
»Die Frau ist die Mutter des Leuchtturmwärters. Sie kommt jeden Freitag nach der Arbeit zu ihm, um zu sehen, ob er auch Staub gewischt hat. Das prüft sie immer mit dem weißen Handschuh nach. Er ist nämlich nicht der Fleißigste, was die Hausarbeiten angeht.«
Paul verdrehte lachend die Augen. Das es eine so einfache Erklärung gab, hätte er nie für möglich gehalten.

(c) 2013, Marco Wittler

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