503. Der Dosenzwerg

Der Dosenzwerg

Manfred saß allein in einem kleinen Busch des Gartens. Von seinem Platz aus beobachtete er die vielen Gartenzwerge, die überall auf dem Rasen miteinander spielten.
»Ach, ist das langweilig hier.« seufzte er. »Wenn ich bloß nicht so einsam wäre.«
Aber Manfred traute sich nicht, seine Zeit mit den Zwergen auf der Wiese zu verbringen, denn sie lachten ihn immer aus, wenn sie ihn sahen.
»Du bist doch gar kein echter Zwerg. Du bist nur eine riesige Lachnummer.« riefen sie ihm immer entgegen. Dann hielten sie sich ihre dicken Bäuche und kugelten sich vor Lachen hin und her.
Manfred sah an sich herab. Er selbst besaß keinen dicken Zwergenbauch. Zwischen seinem Kopf und seinen Beinen gab es nur eine alte Blechdose, die vorn und hinten schon zu rosten begann. So traute er sich gar nicht mehr aus dem Schatten des Buschs hervor. Er würde wohl ewig sein Leben hier verbringen.
In diesem Moment wurde es still im Garten. Alle Zwerge blieben stehen und bewegten sich nicht mehr. Das konnte nur bedeuten, dass sich ein Mensch näherte. Tatsächlich öffnete sich einen Augenblick später die Gartentür und ein Mädchen mit einem Korb in der Hand lief nach draußen und suchte nach irgendwas in allen Ecken.
»Irgendwo müssen sie doch sein.« murmelte es immer wieder vor sich hin, konnte aber nichts finden.
Dann kam ein weiterer Mensch aus dem Haus. Es war eine große Frau, die nach dem Mädchen sah.
»Komm wieder rein, Spätzchen.« rief sie. »Ostern ist doch schon längst vorbei. Du wirst jetzt keine Ostereier mehr finden.«
Aber das Mädchen wollte nicht hören. »Vielleicht hat der Osterhase nicht richtig auf den Kalender geschaut und nochmal was verteilt. Ich will nur sicher gehen.«
»Merle, im Garten sind wirklich keine versteckten Sachen mehr. Du kannst mir ruhig glauben.«
Das Mädchen lief trotzdem durch den ganzen Garten. Irgendwann stand es vor Manfreds Versteck.
Weil Merle nichts unter den vielen Ästen und Blättern sehen konnte, tastete sie mit den Fingern darunter. Manfred wurde nervös. Er durfte nicht gefunden werden. Aber zum flüchten war es nun zu spät. Er konnte schon die anderen Zwerge kichern hören.
»Da ist was.« rief Merle plötzlich und zog etwas unter dem Busch hervor.
Mit einem seltsamen Zwerg in der Hand lief sie zum Haus zurück. »Was ist das Mama?«
Mama sah sich den Zwerg an und bekam große Augen.
»Das glaub ich einfach nicht. Das ist mein alter Dosenzwerg Manfred. Den habe ich gebastelt, als ich so alt war wie du.«
Mit zitternden Händen nahm sie Manfred in die Hände und öffnete seinen Dosenbauch.
»Da drin steckt sogar noch mein altes Armkettchen. Ich dachte immer, dass ich es verloren hatte. Aber nun ist es wieder da.«
Sie drückte Merle ganz fest an sich und begann vor Freude zu weinen.
»Du hast da einen richtig wertvollen Schatz gefunden.«
Gemeinsam gingen sie ins Haus zurück und stellten Manfred auf die Fensterbank zwischen den Schönen Blumen. Die Gartenzwerge auf der Wiese sahen ihn ganz neidisch an.

(c) 2015, Marco Wittler

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