Ein richtiges Buch
Max saß gelangweilt auf Omas Sofa und sah immer wieder im Kreis die anderen Verwandten an. Wenn er sich doch bloß etwas zum Spielen mitgenommen hatte. Nur zu gern würde er sich jetzt die Zeit mit einem kleinen Computerspiel vertreiben. Stattdessen musste er sich nun den langweiligen Erwachsenenkram anhören.
»Es gibt echt nichts Schlimmeres.« murmelte er vor sich hin und seufzte immer wieder laut.
»Was ist denn mit dir los?« fragte ihn schließlich Mama.
»Ach, nichts. Alles in Ordnung.« antwortete Max.
Doch dann seufzte er weiter.
»Ist wirklich alles bei dir in Ordnung?«
»Ja, wenn ich es doch sage.«
Max wollte einfach nicht zugeben, dass Mama zu Hause Recht gehabt hatte. Sie hatte es gleich geahnt, dass ihr Sohn bei Oma vor Langeweile sterben würde.
»Nimm dir lieber etwas zum Spielen mit.« hatte sie vorgeschlagen.«
»Brauche ich nicht. Mir wird nicht langweilig.« hatte Max geantwortet.
Nun würde er sich lieber auf die Zunge beißen, statt sich seinen Fehler einzugestehen.
In diesem Moment beugte sich Oma zu ihm herüber. »Du langweilst dich doch bestimmt.« stellte sie fest und Max nickte mit hochrotem Kopf. »Soll ich dir ein Buch geben? Ich glaube, ich habe da noch eins im Schrank, das deine Mama früher immer gern gelesen hat.«
Wieder nickte Max. Endlich etwas, mit dem er sich den Rest des Nachmittags vertreiben konnte.
Oma stand auf und ging zur großen Schrankwand. Sie öffnete eine Tür, suchte in allen Regalen, bis sie schließlich fand, was sie suchte.
»Das wird dir gefallen. Davon bin ich fest überzeugt.« Sie drückte Max das schwere Buch in die Hand.
»So ein dickes Buch habe ich noch nie gesehen. Das ist bestimmt schon sehr alt.« seufzte Max. »Hoffentlich funktioniert es noch. Ist der Akku auch voll genug?«
Er legte sich das Buch auf den Schoß und betrachtete es eine ganze Weile.
»Wilhelm Busch – Die schönsten Geschichten für Kinder.« las er laut vor.
Max tippte mit dem Zeigefinger auf den Buchdeckel und wartete ein paar Sekunden. Als nichts geschah, tippte er noch einmal mit etwas festerem Druck. Aber es tat sich einfach nichts.
Er besah sich das Buch von allen Seiten. Oben und unten, links und rechts, vorne und hinten.
»Wo ist denn der Einschaltknopf? Ich sehe nur den Bildschirmschoner. Kommt man damit auch ins Internet? Kann man damit Spiele spielen?«
Plötzlich begannen alle am Tisch zu lachen. »Das ist doch kein e-Book oder Tablet-Computer.« erklärte Oma, während sie sich ein paar Lachtränen aus dem Gesicht wischte. »Das ist ein richtiges, echtes Buch mit Seiten aus Papier. Da muss man noch selbst umblättern. Ganz ohne Knöpfe und ohne Strom.«
Max war verwirrt. »Umblättern?« Er nahm den Buchdeckel zwischen Zeigefinger und Daumen und klappte ihn auf.
»Tatsächlich. Ein echtes Buch. Wer hätte das gedacht?«
Und schon war er beschäftigt und legte das Buch bis zum Abend nicht mehr aus der Hand.
»Das Buch war viel besser als ein e-Book.« sagte er am Abend während der Heimfahrt. »Da waren sogar Bilder drin. Richtig cool.«
(c) 2015, Marco Wittler
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