Papa hat Zahnschmerzen
Am Frühstückstisch war es ruhiger als sonst. Papa, der normalerweise jede Minute etwas aus der Zeitung vorlas, saß ganz still am Tisch und sagte kein einziges Wort. Stattdessen war er hinter seiner Zeitung gar nicht zu sehen.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Mama.
„Ja ja.“, antwortete Papa kurz und war dann wieder still.
„Du bist doch sonst nicht so ruhig.“
„Hab schlecht geschlafen. Alles okay.“, nuschelte Papa. Dann legte er die Zeitung zur Seite, packte seine Brotdose ein und fuhr zur Arbeit.
Einige Stunden später saßen die Familie zum Abendessen wieder gemeinsam am Küchentisch. Wieder war Papa sehr still. Er erzählte nicht einmal, was während der Arbeit alles geschehen war.
„Ist bei dir wirklich alles in Ordnung?“, fragte Mama erneut.
„Ja ja.“, kam sofort die Antwort. „Könnte nicht besser sein. Hab mich noch nie so wohl gefühlt.“
„Aber warum bist du dann so ruhig?“
Papa seufzte. „Ich denke nur gerade über etwas nach.“
Am nächsten Morgen stand Mama wie immer als Erste in der Küche. Eine halbe Stunde später stürmte ihr Sohn Max durch die Tür.
„Mama, du wirst nicht glauben, was ich gerade gesehen habe. Der Papa sieht aus wie ein Hamster. Der hat eine ganz dicke Wange. Sowas hab ich noch nie gesehen.“
Kurz darauf kam auch Papa. Seine Wange war tatsächlich richtig dick geworden.
„Jetzt weiß ich auch, warum du seit gestern so still bist. Du fährst sofort zum Zahnarzt. Ich rufe deinen Chef an und sage ihm, dass du später kommst. So kannst du nicht arbeiten.“
„Aber …“
„Was für ein aber?“, fragte Mama. „Willst du mir etwa widersprechen? Du hast seit gestern oder noch länger Zahnschmerzen. Die werden nicht von allein besser. Das muss sich ein Fachmann ansehen und dir helfen.“
Papa seufzte.
„Aber ich gehe nicht gern zum Zahnarzt. Der gibt mir Spritzen, der bohrt, der zieht Zähne. Das tut alles weh.“
„Schau dir deinen Sohn an.“, sagte Mama. „Der ist viel tapferer als du. Der hatte noch nie Angst vorm Zahnarzt.
Papa seufzte ein zweites Mal.
„Ist ja gut. Ich fahre zum Zahnarzt.“
Kurz vor dem Mittagessen war Papa wieder da. Mit einem strahlenden Gesicht kam er ins Haus. Er umarmte seinen Sohn Max und drückte ihn an sich. Dann gab er Mama einen dicken Schmatzer auf die Wange.
„Ist das nicht ein schöner Tag? Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und uns allen geht es richtig gut. Das ist doch toll. Und soll ich euch mal was erzählen? Ich verstehe gar nicht, warum die Leute immer so viel Angst vor dem Zahnarzt haben und sich nicht zu ihm trauen. Der Mann ist so nett und hilft einem. Da sollte niemand seine Zahnschmerzen auf die lange Bank schieben. Ist doch lächerlich.“
Papa lachte. Und Mama musste auch lachen. Immerhin war Papa der größte Angsthase von allen.
(c) 2017, Marco Wittler
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