683. Der Geschichtenerzähler

Der Geschichtenerzähler

Die Adventszeit ging zu Ende. In einer kleinen Stadt, irgendwo im Nirgendwo, hatten sich die Menschen auf das Weihnachtsfest vorbereitet. Nun wurde überall Festmähler gekocht, kleine Geschenke für die Kinder eingepackt und Weihnachtsbäume in den Wohnstuben geschmückt.
Die Vorfreude auf das Fest war riesig groß. Das lag auch daran, dass die Menschen im Advent jeden Tag auf Weihnachten eingestimmt wurden.
Vor dem Rathaus am Marktplatz hing jeden Tag auf einem großen Schild ein einfacher Zettel. Und doch war es ganz anders. Es war zweifellos ein einfaches Blatt Papier. Was darauf stand, war aber alles andere als einfach. Es waren Weihnachtsgeschichten, die der Geschichtenerzähler der Stadt aufgeschrieben hatte. Jeden Tag kam er im Morgengrauen vorbei, hängte eine neue Geschichten auf und verschwand wieder in seinem kleinen Häuschen. Jeden Tag erfreuten sich die Menschen aufs Neue daran und lasen mit Begeisterung, was er geschrieben hatte.
Doch nun war es Zeit, Weihnachten zu feiern. Die Stadtbewohner saßen in ihren eigenen Häusern und Wohnungen vor den reich gedeckten Tischen, sahen immer wieder zu den großzügig geschmückten Weihnachtsbäumen und sangen gemeinsam die schönsten Weihnachtslieder. Es war ein sehr besinnlicher Abend.
Nur in einem Haus nicht. Denn der Geschichtenerzähler war ganz allein. Einsam saß er in seinem großen Sessel und starrte auf die kleiner werdenden Flammen in seinem Kamin. Während es in der Wohnstube immer kälter wurde, versuchte er sich an die Zeit zu erinnern, als er selbst noch Weihnachten gefeiert hatte. Doch das war lange her.
Er seufzte, schniefte und wischte sich mit dem Ärmel unter der Nase entlang. Dann tröstete er sich, dass er wenigstens seinen Mitbürgern die Zeit bis zum Fest mit seinen Geschichten verschönert hatte. und das würde er auch in den nächsten Jahren machen, egal, wie einsam er sein würde.
Er wollte sich gerade in sein Bett legen und die nächsten Tage verschlafen, als plötzlich jemand an seiner Tür klopfte.
Der Geschichtenerzähler wunderte sich. Hatte sich doch schon lange niemand mehr zu ihm verirrt.
»Wer ist denn da?«, fragte er vorsichtig und hatte Angst vor Räubern und Wegelagerern.
Er bekam keine Antwort, stattdessen klopfte es ein weiteres Mal. Mit zittrigen Fingern drehte er den Schlüssel um und zog die Tür langsam auf.
Draußen auf der Straße standen Menschen – viele Menschen. Es waren die Bürger seiner Stadt. Sie hatten sich vor seinem kleinen Haus versammelt, und sie lächelten ihn alle an.
»Frohe Weihnachten!«, riefen sie ihm entgegen und stimmten gemeinsam ein Weihnachtslied an.
Sie sangen ein Lied nach dem anderen. In den kurzen Pausen überreichten Kinder dem Geschichtenerzähler kleine Geschenke. Darunter waren Schreibfedern, Tintenfässer, Papier und mehr.
»Aber … aber … warum?«, freute und wunderte sich der Geschichtenerzähler.
»Weil du uns im Advent mit so vielen schönen Weihnachtsgeschichten das Herz erwärmt hast.«, erklärte der Bürgermeister. »Und weil du auch das ganze restliche Jahr für uns schreibst. Wir möchten dir dafür einfach mal Danke sagen.«
Dem Geschichtenerzähler kullerte eine Träne die Wange herab, so groß war die Freude.
»Und nun gehen wir alle gemeinsam in den großen Saal des Rathauses und feiern gemeinsam weiter mit leckerem Essen, Weihnachtsliedern und Weihnachtsgeschichten.«, lud der Bürgermeister den Geschichtenerzähler und alle anderen Menschen ein, ihn zu begleiten.

(c) 2018, Marco Wittler

2 Kommentare

  1. Wir sagen unserem Geschichtenerzähler, der uns jeden Abend mit seinen wundervollen Geschichten erfreut, auch vielen lieben Dank und wünschen ein schönes Weihnachtsfest! Liebe Grüße aus Argentinien

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*