Gefangen im Spinnennetz
Es war endlich Frühling geworden. Nach einem langen, harten Winter mit meterhohem Schnee Wurden die Tage nun wieder länger, die Temperaturen stiegen an und die Sonne schien kräftig vom Himmel.
An diesem wirklich schönen Tag krabbelte die kleine Fliege aus ihrem Unterschlupf, reckte und streckte sich und hielt ihre Nase der Sonne entgegen.
»Ist das toll heute. Das ist genau die richtige Zeit, um endlich wieder ins Freie zu kommen.«
Sie überlegte, ob sie als Erstes ihren Freund, den kleinen Frosch, besuchen sollte. Aber dann entschied sie sich dagegen, warf ihre beiden Flügel an und düste durch die Luft.
Von Minute zu Minute wurde sie schneller, tobte sich aus, düste ganz knapp an den ersten Blüten des Frühlings vorbei und umrundete immer wieder in waghalsigen Manövern Blumenstängel und herab hängende Äste.
Plötzlich knallte sie gegen etwas, das sie nicht gesehen hatte. Da war eine unsichtbare Wand, die die kleine Fliege in ihrem Flug von einer Sekunde zur nächsten abbremste und zum Stillstand brachte.
»Was ist denn hier los?«, wunderte sich die kleine Fliege. »Es gibt doch keine unsichtbaren Wände im Wald.«
Schon wollte sie weiter fliegen, kam aber nicht mehr vom Fleck. Erst jetzt fiel ihr auf, dass um sie herum dutzende dünne Fäden gespannt waren, die man fast nicht sehen konnte. An jedem dieser Fäden hingen kleine Tröpfen, die unglaublich fest klebten.
»Oh, nein! Ist das etwa ein …«
Weiter kam die kleine Fliege nicht mehr. Denn schon näherte sich ihr ein gefräßiges Ungetüm mit vielen Augen und acht zierlichen Beinen.
»Ich sitze in einem Spinnennetz fest!«
Wie wild strampelte die kleine Fliege umher und versuchte, sich irgendwie zu befreien. Ohne Erfolg. Mit jeder Bewegung klebte sie nur umso fester im Netz.
»Nun zappel doch nicht so.«, sagte die Spinne beschwörend. »Je mehr du dich bewegst, umso mehr Arbeit habe ich nachher, dich aufzufressen. Weg kommst du jetzt eh nicht mehr. Du musst dir gar nicht mehr so viel Mühe geben.«
Kurz hielt die kleine Fliege inne. Doch dann strampelte sie umso mehr und rief laut um Hilfe. Sie wollte auf keinen Als Spinnenfutter enden.
»Ich habe doch gesagt, dass du das lassen sollst.«
Die Spinne wurde nun bestimmender, fast wütend.
»Du wirst mir noch mein schönes Netz kaputt machen. Du weißt ja gar nicht, wie viel Arbeit da drin steckt.«
In diesem Moment war ein lautes Quaken vom Boden zu hören. Der kleine Frosch war gekommen. Er hatte den Hilferuf gehört.
»Auch wenn sich das jetzt blöd anhört, aber hör auf die Spinne und verhalte dich ganz ruhig. Je fester du im Netz klebst, desto schwieriger wird es, dich zu retten.«
Die Spinne begann zu grinsen.
»Hörst du das? Der Frosch da unten weiß es besser als du. Der ist wohl auf meiner Seite. Vielleicht gebe ich ihm ein Stück von dir ab. Mir wurde mal gesagt, dass Frösche den gleichen Geschmack haben, was das Frühstück angeht.«
Das zu hören, machte die kleine Fliege so richtig wütend. Sie ergriff ein Stück eines Blütenblattes, das am Spinnenfaden hing, kleisterte es mit Spinnenkleber ein und warf diesen mit voller Kraft der Spinne entgegen.
Die Spinne war Von diesem Angriff so überrascht, dass sie nicht mehr schnell genug reagieren konnte. Das Wurfgeschoss traf sie mitten im Gesicht und verklebte ihr das gefräßige Maul.
»Jetzt schaut sie aus, als würde sie einen Mundschutz tragen.«, jubelte die kleine Fliege.
Während die Spinne noch versuchte, sich vom Blütenblatt zu befreien, kletterte der kleine Frosch in die Höhe und zerriss mit einem Stock einen Spinnenfaden nach dem anderen, bis die kleine Fliege zu Boden fiel.
»Jetzt nehme ich dich erstmal mit zum Teich. Da wasche ich dir das klebrige Zeug ab. Dass du aber auch immer so unvorsichtig durch die Weltgeschichte fliegen musst.«
Die kleine Fliege nickte.
»Tut mir leid. Ich werde in Zukunft besser auf mich aufpassen.«
(c) 2020, Marco Wittler
Mehr vom kleinen Frosch und der kleinen Fliege findest du hier:
Das Märchen von den Froschzahnschmerzen
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