855. Ich und der Mörder mit der kleinen Waffe (Mann und Manni 12)

Ich und der Mörder mit der kleinen Waffe

Es war eine unruhige Nacht, in der ich unsanft von meiner doch sehr stark gefüllten Blase geweckt wurde. Eigentlich war geplant gewesen, bis zum Frühstück zu schlafen. So blieb nicht zu viel Wartezeit, bis mein Fressnapf gefüllt wurde.
Moment. du fragst dich jetzt vielleicht, was du da für einen seltsamen Blödsinn liest. Wer frisst schon sein Frühstück aus einem Fressnapf?
Nun, die Frage ist tatsächlich sehr schnell beantwortet, denn ich bin ein Kater mit Namen Manni und der Herr in dieser wunderschönen WG.
Na gut, ich gebe zu, dass es in der WG wirklich wunderschön sein könnte, wenn mir die anderen nicht ständig alles kaputt machen würde. Aber dazu kommen wir dann doch zu einem anderen Zeitpunkt. Kehren wir doch lieber zu den interessanten Dingen meines Berichts zurück: meine gefüllte Blase.
Der Druck in mir hatte dramatisch zugenommen. Ich war mir sicher, nur noch wenige Augenblicke durchhalten zu können. Also kletterte ich zügig von meinem Schlafplatz auf der obersten Etage meines Kratzbaums herunter und tappste ins Bad. Unter dem Waschbecken der wenigen Menschen unserer WG stand mein Katzenklo.
Ich kletterte hinein,wühlte ein wenig im naturbelassenen Holzstreu herum, genoss den Duft nach Wald und … ach, wem erzähle ich hier eigentlich diese Geschichten, die eh keiner glaubt?
Ich rannte regelrecht ins Bad, sprang ins Klo und ließ es einfach laufen.
Aaah, das war ein unglaublich schönes Gefühl. Der Druck in meiner Blase ließ endlich nach. Als der letzte Tropfen im Streu verschwunden war, verbuddelte ich alles säuberlich und wollte mich gerade wieder auf den Weg zu meinem Schlafplatz machen, als ich etwas Seltsames entdeckte.
Vor dem Klo lag eine tote Ameise. Das an sich war nichts Besonderes. Insekten starben schon mal, wenn sie versehentlich unter meine stattliche Pranke gerieten. Aber hier lag der Fall doch etwas anders.
Hinter dieser Ameise lag eine zweite, eine dritte und so weiter. Sie bewegten sich alle nicht mehr, hatten ihr eh schon so kurzes Leben ausgehaucht. Ich konnte nur nicht verstehen, was hier geschehen war. Warum lagen sie in einer langen Linie hintereinander, als hätten sie für den Tod Schlange gestanden?
Das war eindeutig ein Fall für Mann und Manni, dem Superteam, das jeden noch so schwierigen Fall löste.
Ich lief ins Schlafzimmer, versuchte, die Leichen nicht zu berühren und sprang mit einem kräftigen Satz auf die Brust des Mannes. Der Mann erschrak, immerhin drückte ich ihm von einer Sekunde zur anderen sämtliche Luft aus den Lungen.
Verwundert sah er mich mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen an, wollte wissen, was ich von ihm wollte.
Ich maunzte ihn kurz an.
»Komm mit. Stell keine Fragen.«
Müde trottete er hinter mir her und folgte meinem Weg ins Bad. Dort sah er schnell, was geschehen war.
Ameisen. Tote Ameisen. Unglaublich viele Ameisen. Das hatte es hier noch nie gegeben.
Jetzt wurde auch der Mann hellwach. Er hatte Blut geleckt, wollte diesen Fall unbedingt lösen. Er ging in sein Arbeitszimmer und kam kurz darauf mit einer großen Lupe zurück. Dann ließ er sich auf allen Vieren nieder, um dem Weg der Leichen zu folgen.
Man kann sich bestimmt vorstellen, dass dies ein Bild für die Götter war. Hätte er mehr als die Haare am Kinn besessen, er hätte einen guten Kater abgegeben. So blieb er aber nur ein hässlicher, nackter Mensch.
Wir folgten der Spur der Toten. Inzwischen hatte mich mein Assistent informiert, dass es sich um eine Ameisenstraße handelte. Die Tiere waren irgendwo eingedrungen und waren im Entenmarsch ins Bad gelaufen. Offensichtlich schien es sich hier um Angehörige des Insektenstaats zu handeln, die er am Nachmittag auf der Terrasse entdeckt hatte. Nun waren sie hier drin.
Wir krabbelten langsam vorwärts und gelangten ins Wohnzimmer. Es ging vorbei an meinem Kratzbaum, dem Sofa, bis wir nur noch einen Meter von der Gartentür entfernt waren.
Just in diesem Moment schien sich ein kleiner Teil dieses Falles zu klären. Vor uns saß die wilde Mini-Mietze, ebenfalls Teil meiner WG, ein kleines, wildes Katzenmädchen, von einem Bauernhof stammend. Sie war so voller Energie, dass sie es selbst mit einem gefährlichen Honigdachs aufgenommen hatte. Mit ihr durfte man es sich auf keinen Fall verscherzen. Sie war durchaus in der Lage über Leichen zu gehen. Und dieses Bildnis setzte sie gerade in die Tat um.
Immer wieder hob sie den Kopf, fuhr ihn mit voller Kraft zurück zum Boden und spießte eine Ameise nach der anderen mit ihren Schnurrhaaren auf.
»Was wird das?«, fragte ich sie verwirrt.
Eindringlinge, war ihre kurze Antwort, bevor sie sich wieder ihrer Mordlust hingab.
Gut. Wer war ich, dass ich es ihr verbieten wollte. Im Leben nicht. Dann wäre ich wohl der nächste, der diese stahlharten Schnurrhaare zu spüren bekam. Das wollte ich nicht riskieren.
Ich ließ sie gewähren. Der Mann nickte ihr nur anerkennend zu. Jetzt war das Problem mit den Ameisen im Garten für ihn erledigt. Er trollte sich also zurück in sein Bett, während ich mich auf den Kratzbaum zurückzog.
Ich lebte wirklich in einer sehr verrückten WG. Und das war nur einer der unglaublichen Geschichten. Alles andere werde ich zu einem späteren Zeitpunkt berichten.
Gute Nacht.

(c) 2020, Marco Wittler

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