868. Der Kater, der mir den Atem nahm (Mann und Manni 20)

Der Kater, der mir den Atem nahm

Ich hatte es mir nach dem Frühstück für einen Schönheitsschlaf gemütlich gemacht. Hoch oben auf dem Kratzbaum hatte ich mich eingerollt und war sehr schnell ins Land der Träume gereist. In dieser Höhe hatte ich die dafür die nötige Ruhe.
Ja, ja. Ich weiß. Du brauchst mich gar nicht erst zu fragen. Das hatten wir doch schon oft genug. Meinst du nicht auch? Du weißt doch mittlerweile, dass ich Kater Manni bin und sehr viel Zeit auf meinem Kratzbaum verbringe. Ist immer noch nichts Besonderes. Also bleiben wir doch gleich bei meinem Bericht, der eh viel interessanter ist.
Die Zeit, in der ich natürlich von vollen Fressnäpfen und laufenden Würstchen träumte, verging wie im Flug. Dadurch näherte ich mich in Atem beraubender Geschwindigkeit dem Mittagessen.
Irgendwann holte mich das Klappern von Besteck und das Klirren von Schüsseln aus dem Schlaf. Meine Augen sprangen sofort weit auf. Ich erhob mich, verließ den Kratzbaum und machte mich auf den Weg in die Küche.
Dem Duft nach gab es wieder einmal Fisch. Darauf freute ich mich natürlich ganz besonders.
Doch als ich um die Ecke bog, bot sich mir die traurige Realität. Um die Frau, die nur zu gern etwas von ihren Zutaten an mich abgab, war bereits von den drei anderen Mietzen meiner WG umringt.
Vor ihren Füßen saß Lord Schweinenase, mein Bruder, der ständig Futterreste an der Nase kleben hatte. Er leckte sich bereits über das Maul, hatte also schon etwas gefuttert.
Hinter der Frau hatte die hyperaktive Mini-Mietze Platz genommen. Sie musste sich nicht in den Vordergrund spielen. Sie war so unglaublich unberechenbar, dass man gut daran tat, sie niemals zu vergessen oder zu übergehen.
Etwas Abseits saß dann noch der Bengale, der größte Angsthasem den ich in der Katzenwelt je kennengelernt hatte. Man musste ihn nur einmal schräg anschauen, dann zitterte er schlimmer wie eine Pappel.
Ich wollte mir natürlich keinen schmackhaften Happen entgehen lassen, also drängelte ich mich ungeniert in die erste Reihe vor. Dann tippte ich der Frau immer wieder sanft mit meiner Pfote auf ihren Fuß.
Es dauerte tatsächlich eine ganze Weile, bis ich den ersten Happen bekam. Ich schlang ihn schnell herunter, achtete penibel darauf, dass mir niemand einen Krümel klauen konnte. Dann startete ich den nächsten Bettelanlauf, der natürlich ins Leere ging. Die anderen Mietzen sollten auch etwas bekommen.
Du kannst dir sicher vorstellen, dass das voll und ganz gegen meinen Hunger ging. Ich musste also etwas unternehmen. Ich schnappte mir den Brocken, der an Lord Schweinenase gehen sollte, dann wagte ich mich an den der Mini-Mietze heran. Sie war tatsächlich so überrascht, dass sie völlig vergaß, mich zu verprügeln.
Als nächstes war der Bengale an der Reihe. Er war natürlich alles andere als ein ebenbürtiger Gegner. Ich wusste, dass ich nur zugreifen musste. Doch dann kam es ganz anders.
Er legte schnell seine Pfote auf den Fischbrocken und sah mich böse an. Ich konnte nur darüber lachen.
»Pack die Pfote weg!«, herrschte ich ihn an. »Du weißt, dass du keine Chance hast. Ich bin in der WG der Boss.«

Ich nahm ein leichtes, fast nicht sichtbares Zittern in seiner Schwanzspitze wahr, das aber sofort wieder verschwand. Seine Pfote verschwand leider nicht.
Sein Blick wurde dunkler, die Augen verengten sich zu Schlitzen. Er fauchte.
Moment! Was sollte das? Sowas hatte ich von ihm noch nie zu hören bekommen. War er etwa lebensmüde geworden?
Er gab mir zu verstehen, dass der Fisch seiner wäre und er ihn auf keinen Fall an mich abtreten würde.
»Du wirst jetzt sofort den Fisch rausrücken. Es wird sonst ganz hässlich mit uns enden.«, giftete ich zurück.
Statt mir zu weichen, hob er kurz die Pfote, schlug sie mir ins Gesicht und legte sie sofort wieder auf den Fisch.

Puh! Hammer! Was war das? Wer hatte den Bengalen ausgetauscht?
Ich wollte mich bereits für diese dreiste Unverschämtheit rächen, da schlug er erneut zu. Dieses Mal hörte er aber nicht auf. Ich bekam seine Pfoten und Krallen immer wieder zu spüren. Ich bekam nicht den Hauch einer Chance zur Gegenwehr.
Nach wenigen Sekunden wurde es mir zu viel. Ich flüchtete ins Wohnzimmer und kletterte auf meinen Kratzbaum. Der Bengale folgte mir, hinter sich Lord Schweinenase und die Mini-Mietze, die ihm anerkennend auf die Schulter klopfte.
Der Bengale blitzte mich an, ließ mich wissen, dass er sich nicht noch einmal etwas von mir sagen lassen wollte.
Erst dann wich die Anspannung aus seinem Körper. Er zitterte nun für einen Moment am ganzen Leib und war völlig überrascht, dass er sich angstfrei gegen mich verteidigt hatte.
Ich lachte nur darüber. Ich hatte ihn aus Gutmütigkeit gewinnen lassen.

(c) 2020, Marco Wittler


Bild von GraphicMama-team auf Pixabay

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