Auf dem Friedhof ist nicht alles tot
Als die Abenddämmerung einsetzte, die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand und Dunkelheit über die Erde hereinbrach, geschah es.
Der Friedhof am Stadtrand war leer. Die letzten Trauernden hatten das Gelände verlassen und waren heimgekehrt. Lediglich ein paar wenige zwitschernde Vögel und leise säuselnde Wind waren noch zu hören.
Diese Stille wurde unterbrochen, als die Erde über einem der unzähligen Gräber aufriss und zur Seite geschoben wurde.
Eine knöcherne, halb verweste Hand, an der noch letzte Hautfetzen hingen, kam daraus hervor, suchte nach Halt und zog den restlichen Körper hinter sich her.
Ein Untoter kletterte aus dem Grab, klopfte sich den Dreck vom löchrigen Anzug, zog ein paar zuckende Würmer aus sich heraus und humpelte stöhnend die Kieswege entlang.
Während er an den vielen Grabsteinen entlang wandelte, pflückte er hier und da ein paar Blumen und steckte sie zu einem Strauß zusammen.
Irgendwann blieb der Untote vor einem Grab stehen, zog sich den Anzug zurecht und klopfte mit seiner knochigen Hand gegen den Grabstein.
Es dauerte ein paar Sekunden, dann schob sich auch hier Etwas aus dem Boden. Es war eine untote Frau. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht ging sie auf ihren Besucher zu, nahm den Strauß entgegen und wartete ab.
»Möchtest du dich mit mir auf die Bank auf der Anhöhe setzen und den Sonnenuntergang anschauen?«
Auf dem aschfahlen Gesicht des untoten Mannes wurden die Wangen rot. Er hatte schon seit einer gefühlten Ewigkeit niemanden mehr zu einem Date eingeladen. Würde sie zustimmen oder ihm einen Korb geben?
Ihr Gesicht wurde ebenfalls rot. Dann nahm sie seine Hand in ihre und nickte schüchtern.
Die beiden Untoten schlenderten gemeinsam die Kieswege entlang, nahmen auf der Bank Platz und genossen gemeinsam den romantischen Ausblick auf die orange gefärbten Wolken am Himmel.
(c) 2020, Marco Wittler
Bild von DoomSlayer auf Pixabay
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