942. Der kahle Weihnachtsbaum

Der kahle Christbaum

In diesem Jahr war alles irgendwie anders. Überall trugen die Menschen Masken, um sich nicht gegenseitig krank zu machen, Weihnachtsfeiern fielen aus, die Ferien wurden ein ganzes Stück länger und zum Fest konnte man sich nicht mit der ganzen Familie treffen. Die Corona Pandemie beherrschte jetzt nicht nur den Alltag, sondern auch das Weihnachtsfest.
Um die Adventszeit für die Familie etwas leichter und schöner zu machen, war Papa dieses Jahr extra früher aufgebrochen, um einen Christbaum zu besorgen.
Normalerweise wurde er erst am Morgen des Heiligabend in der Stube aufgestellt und geschmückt. Bis dahin stand er eingepackt auf der Gartenterrasse und wartete auf seinen Einsatz.
»Ich habe mich entschlossen, den Baum schon früher ins Haus zu holen. Dann können wir uns die ganze Adventszeit an ihm erfreuen.«
Das war Papas Plan gewesen. Die ganze Familie war natürlich richtig begeistert gewesen. Oma saß den ganzen Tag auf dem Sofa und betrachtete den Baum. Mama dekorierte ihn täglich um, machte Fotos von ihm und zeigte sie im Internet, während die Kinder jeden Morgen gründlich überprüften, ob nicht sogar schon Geschenke unter ihm zu finden waren.
Papas Plan war aufgegangen. Die Adventszeit wurde für jeden etwas bunter.
Am Morgen des Heiligabend musste sich dann niemand mehr darum kümmern, den Baum zu schmücken. Er war schon fertig.
Und dann geschah das große Unglück. Papa wollte gerade neues Wasser in den Baumständer gießen, da stieß er an den Stamm. Von einem Augenblick zum anderen fielen alle Nadeln von den Ästen und hinterließen einen völlig kahlen Baum, der nur noch als geschmücktes Gerippe im Wohnzimmer stand.
»Oh nein. Alles, nur das nicht!«
Papa war entsetzt. Die vier Wochen, die der Baum nun im warmen Haus gestanden hatte, waren nicht gut für ihn gewesen.
»Was machen wir denn jetzt?«
Er wusste sich keinen Rat mehr. Zeit, um einen neuen Baum zu besorgen, hatte er nicht mehr. Es musste noch so vieles erledigt werden.
»Ich habe da eine Idee.«, mischte sich seine Tochter Emma ein.
Das Mädchen flitzte in ihr Zimmer, holte ihre grüne Wolldecke, eine Schere und setzte sich damit vor den Baum. Stück für Stück zerschnitt sie die Decke in kleine Fetzen, die sie auf die Äste legte.
»Sieht zwar etwas komisch aus, aber jetzt ist der Baum wenigstens wieder grün.«
Papa war begeistert. Der Christbaum sah tatsächlich seltsam aus. Dafür war er jetzt aber ein Baum, den es so nirgendwo auf der Welt gab. Er war einzigartig.
»Tolle Idee, Emma. Ich bin richtig stolz auf dich.«

(c) 2020, Marco Wittler

Image by Pixaline from Pixabay

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