453. Tina und der Sonnenstrahl

Tina und der Sonnenstrahl

Tina saß an ihrem Schreibtisch und machte Hausaufgaben. Lust hatte sie eigentlich keine, denn das Wetter war viel zu schön. Da sollte man doch lieber draußen spielen.
»Nur noch eine Viertelstunde.«, seufzte sie und schrieb an ihrem Aufsatz weiter.
Doch dann hörte sie plötzlich ein paar Stimmen im Garten. Neugierig sah sie aus dem Fenster und entdeckte ihren kleinen Bruder mit seinen Freunden.
»Oh, nein.«, seufzte Tina.
»Nicht schon wieder die drei Nervensägen. Dann wird das wohl nichts mit meinem Sonnenbad. Wenn die drei im Garten so laut sind, kann ich mich nicht richtig entspannen.«
Sie wollte ihren Stift zur Seite legen. Die Lust an den Hausaufgaben war ihr nun endgültig vergangen. Doch aus Angst vor einer schlechten Note, schrieb sie noch schnell die letzten Sätze in ihr Heft, bevor sie es in ihre Schultasche räumte.
Genau in diesem Moment wurde es im Garten noch eine Spur lauter. Tina sah wieder nach draußen und sah, wie die Jungs immer wieder Steine in die Luft warfen.
»Ich treffe bestimmt den Apfel.«, rief ihr Bruder Paul, warf den Stein und traf.
»Ich treffe sogar den Ast ganz oben.«, übertönte sein Freund Max.
Er brauchte drei Anläufe, bis er es tatsächlich schaffte. Nun war Leon an der Reihe. Doch was sollte er nun bewerfen? Das Haus? Ein Fenster? Nein.
»Ich bin der beste Werfer der Welt. Ich kann nämlich die Sonne treffen.«
Er sammelte sich ein paar Steine und warf sie hoch in die Luft. Aber es war gar nicht so einfach, sein Ziel zu erreichen. Irgendwann versuchten sich auch die anderen beiden Jungs.
»Was soll denn das?«, ärgerte sich Tina.
»Die werden sich noch gegenseitig oder jemand anderen verletzen.«
Sie zog sich schnell ihre Schuhe an und lief hinaus in den Garten. Gerade, als sie aus dem Haus kam, ertönte lauter Jubel.
»Ich hab es geschafft.«, brüllte Max.
»Ich hab es tatsächlich geschafft. Ich habe die Sonne getroffen.«
»Spinnt ihr?«, rief Tina, so laut sie konnte und schreckte die Jungs auf.
»Schnell weg hier.«
Max, Paul und Leon nahmen ihre Beine in die Hände, stürmten durch das Gartentor und verschwanden hinter der nächsten Straßenecke.
Tina sah sich um und seufzte. Überall lagen Steine im Garten verteilt. Sie lagen auf der Wiese, zwischen den Blumen und den Sträuchern. Doch was war das? Etwas glitzerte zwischen den Ästen des Apfelbaums.
»Nanu? Das war vorhin noch nicht da.«
Tina ging näher, kletterte vorsichtig am Baumstamm hinauf und holte ihre Entdeckung zwischen den Blättern hervor.
»Oh nein.«, flüsterte sie zu sich selbst.
»Die Jungs haben es tatsächlich geschafft. Sie haben mit den Steinen die Sonne getroffen und dabei einen ihrer Strahlen abgebrochen.«
Ihr wurde sofort flau im Magen. Sie kletterte zurück zum Boden und sah zum Himmel hinauf. Hatte die Sonne nun Schmerzen? Würde das Licht weniger werden? Sie wusste es nicht.
Verzweifelt warf sie den Sonnenstrahl zum Himmel hinauf. Immer wieder versuchte sie es. Aber leider fiel er jedes Mal zurück zur Erde.
»Ich schaffe es einfach nicht. Die Sonne braucht aber den Strahl.«
Schon wollte ihr ein erstes Tränchen die Wange herunter kullern, als Tina über sich ein freundliches Lachen hörte.
»Ist doch gar nicht so schlimm.«, sagte die Sonne mit beruhigender Stimme.
»Ich habe noch ganz viele Strahlen. Da fällt der eine gar nicht auf.«
Und nun besah sich Tina zum ersten Mal die Schönheit des Sonnenstrahls in ihrer Hand.
»Den darf ich wirklich behalten?«
»Ja.«, antwortete die Sonne.
»Wenn du mal schlechte Laune hast oder es den ganzen Tag regnet, dann hol ihn hervor und du kannst dich jederzeit am Sonnenschein erfreuen.«

(c) 2013, Marco Wittler

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