Kleine Maus auf großer Reise
Es knarrte und knackte. Das Wasser plätscherte gemächlich vor sich hin. Die Sonne stand senkrecht am Himmel und wärmte die Erde mit ihren Strahlen. Es war ein schöner Herbsttag und Frederick, die kleine Maus hatte sich von der Scheune des Bauernhofes aufgemacht, um sich ein wenig am Hafen umzusehen. Dort gab es eine schöne Aussicht. Viele Schiffe, große und kleine, waren am Kai vertäut und schaukelten sanft auf den seichten Wellen dahin. Die Seeleute standen überall auf den Decks, sangen ihre Lieder und legten die Segel ordentlich zusammen.
„Auf so einem Schiff möchte ich auch gern mitfahren. Das muss bestimmt richtig schön sein auf dem großen Meer.“
Der Mäuserich biss genüsslich von einem Stück Käse ab, lehnte sich zurück und träumte von der Ferne.
Nach einer Weile hörte er Schritte hinter sich. Er öffnete schnell die Augen, um sehen zu können, wer sich da heran schlich und entdeckte eine große braune Ratte.
„Na, Kleiner!“, sagte die Ratte. „Du träumst wohl davon eine Seemaus zu werden, was? Aber wenn du nur hier am Hafen herum sitzt wird da nie was draus. Ich sag dir, geh mal an Bord eines Schiffes und fahr mit.“ Dann verschwand sie wieder zwischen ein paar Holzkisten, die überall herum standen.
Das wäre schon eine wirklich gute Idee, dachte sich Frederick. Einfach an Bord schleichen und mitfahren. So wird man zu einer echten Seemaus. Das wäre einmal etwas ganz anderes als jeden Tag in der Scheune nach Futtern zu suchen und vor der Katze fort zu laufen.
Am nächsten Tag stand die kleine Maus wieder am Kai und überlegte, welches Schiff wohl das Beste für die erste Fahrt wäre. Über der kleinen Schulter lag ein Stock an dessen Ende ein kleiner Beutel gebunden war. Darin war ein wenig Verpflegung für die Reise.
Am anderen Ende des Hafens war ein kleines Holzschiffchen angebunden. Hier und da hatte es ein paar Macken, und neue Farbe hätte es auch gebrauchen können. Es war bestimmt nicht das schönste hier, das genaue Gegenteil war eher der Fall. Aber es sah richtig nach Seefahrt und Abenteuer aus. Genau das Richtige für eine kleine tapfere Seemaus.
Frederick überlegte nicht lange und schlich sich über eines der Taue an Deck. Oben angekommen stellte er sich an die Reling, legte sein Hab und Gut beiseite und schaute aufs weite Meer hinaus bis zum Horizont, wo das Meer den Himmel berührte. Er atmete die neue Luft ganz tief ein, denn jetzt war er eine waschechte Seemaus.
Doch wie sollte es jetzt weiter gehen?
Er schulterte wieder sein kleines Bündel und begann sein neues Zuhause zu erkunden, denn irgendwo musste er doch einen Unterschlupf für die Nacht finden. Ein kleines Loch in einer Wand würde ihm schon reichen. Und tatsächlich wurde er in der Nähe des Steuerrades fündig. Dort gab es eine kleine Öffnung, die vor längerer Zeit eine andere Maus geschaffen hatte. Dahinter gab es ein gemütliches Plätzchen zu Schlafen und zum Glück unbewohnt.
Der Mäuserich öffnete seinen kleinen Beutel und legte den Inhalt sorgfältig in die Ecke. Wie man nun sehen konnte, war dieser nicht nur ein Beutel, sondern sogar eine Schlafdecke. Die restlichen Dinge waren ein kleines Buch in das Frederick seine erlebten Abenteuer eintragen konnte, ein Stift und ein Rest von seinem Käse.
An diesem Tag ging er früh schlafen, denn am nächsten Morgen sollte es auf die Reise gehen.
Der nächste Morgen kam schneller als erwartet. Es war noch nicht einmal hell, da drang schon ein Gewirr aus lauten Stimmen in das kleine Mauseloch und Frederick wurde wach.
Verschlafen kroch er unter seiner Decke hervor und schaute nach draußen. Überall wurde schon eifrig gearbeitet. Die Matrosen entfernten die Hüllen in denen die Segel über Nacht verstaut waren und bereiteten das Schiff für die Fahrt vor. Die kleine Maus gähnte ganz laut und krabbelte wieder unter die Decke zurück. So stellte sich doch niemand eine richtige Schiffsreise vor.
Aber der Lärm war zu laut. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Also raus aus den Federn. Auch Seemäuse müssen früh aufstehen.
Inzwischen war das Schiff fertig. Der Kapitän stand neben dem Steuermann und gab unverständliche Kommandos von sich. Aber jeder schien zu wissen was getan werden musste.
Die Leinen wurden gelöst und ein Seemann, kräftig wie ein Bär, stieß das Schiff mit einer langen Stange vom Ufer weg. Jetzt war es soweit. Sie waren nun endlich auf See.
Das kleine Schiff verließ schnell den Hafen. Ein kühner Wind blies kräftig in die Segel und lies das Ufer schnell kleiner werden, bis es ganz und gar verschwunden war.
Nun war auch Frederick voller Tatendrang. Er nahm sich ein großes Taschentuch und band es sich um den Kopf. Nun sah er fast aus wie ein Pirat. Er zog sich einen kleinen Matrosenanzug an und ging an Deck. Doch was sollte er nun machen zwischen den vielen Seebären? Jedes der Taue war dicker als er selbst und nirgendwo konnte er etwas helfen. So hatte er es sich nicht vorgestellt. Dafür setzte er sich nach ganz vorne auf die Reling und schaute auf das unendliche Meer.
Da hörte er plötzlich ein leises Kratzen hinter sich auf dem Holz. Fast unbemerkt hatte sich ein dicker großer Kater heran geschlichen und leckte sich nun über die Lippen. Eine Maus zum Frühstück kam ihr gerade recht.
Frederick erschrak. Er hatte es zwar schon einmal mit einer Katze aufgenommen, aber diesmal konnte er sich nirgendwo verstecken oder sich noch etwas ausdenken.
Der Mäuserich schreckte hoch und sah sich um. Er war nicht mehr an Bord des Schiffes. Er saß am Hafen auf einer großen Holzkiste. Anstatt einem Kater als Vorspeise zu dienen hatte er das alles nur geträumt. Erleichtert atmete er auf.
„Hast du es dir doch anders überlegt? Ich dachte, du wolltest eine richtige Seemaus werden, Kleiner.“
Die dicke Ratte war wieder da.
„Nein, ganz gewiss nicht. Das ist mir viel zu gefährlich. Auf Schiffen sind mir viel zu gefährliche Tiere. Und früh aufstehen muss man auch. Das ist nichts für mich.“, antwortete Frederick.
Die Ratte zuckte nur kurz mit den Schultern und kletterte an einem Tau auf das nächste Schiff hinauf.
Der kleine Mäuserich aber lehnte sich gemütlich zurück, genoss den Sonnenuntergang und lies seinen Blick über das weite Meer schweifen. Alles war ruhig und das war auch gut so.
Aber irgendwann, das wusste Frederick genau, würde er doch einmal mit einem Schiff das Meer bereisen. Denn nun träumte er von einem ruhigen Leben in einem Leuchtturm am Meer. Dort war es sicher, es gab nicht so viel Arbeit, und man konnte bis zum Mittag ausschlafen.
(c) 2001, Marco Wittler
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