Der Zauberhut (Teil 2)
Teil 1 befindet sich hier.
Es war ein kleines altes Haus. Es sah windschief und baufällig aus, als würde es jeden Moment in sich zusammen fallen und alles unter sich begraben, was in ihm war. Aber der Alte betrat es und zog Andreas hinter sich her.
»Du fragst dich sicherlich, wer ich bin, warum ich dich hierher gebracht habe und woher ich deinen Namen kenne.«
Andreas nickte nur.
»Dann werde ich mich dir vorstellen. Ich bin Ambraxs, der Zauberer. Die Menschen hier kennen mich nur als alten, vertrottelten Mann, der ab und zu um Almosen bettelt. Aber um meine wirkliche Natur weißt nur du Bescheid.«
Der Zauberer lies sich in einen großen Sessel fallen, bedeutete Andreas, sich auf einen Stuhl zu setzen und zündete sich ein Pfeifchen an.
»Als ich noch so jung war zog ich viel durch die Lande. Mal war ich hier, mal war ich dort. Ich bot Herren und Königen meine besonderen Dienste an, schützte sie vor Angriffen ihrer Feinde und machte sie alle zu reichen Männern.
Doch erst spät musste ich feststellen, dass sie mich alle ausgenutzt hatten. Mit meiner Hilfe hatten sie große Kriege angezettelt, ganze Länder geplündert, Völker getötet und Schlimmeres.
Nun lebe ich seit vielen hundert Jahren hier, zurückgezogen von der Welt und wache über diese kleine Stadt, dass ihr kein Unheil geschieht.
Aber ich bin alt geworden und mein Ende steht mir bald bevor. Es wird Zeit für mich, einen furchtlosen Nachfolger auszubilden, der meine wichtige Aufgabe übernimmt.«
Andreas machte große Augen, als er das hörte.
»Und wer wird das sein? Hast du ihn schon ausgesucht?«
Ambraxs lachte laut.
»Natürlich habe ich ihn schon gefunden. Er sitzt mir gegenüber und stellt mir dumme fragen, weil er nicht begreift, dass er gerade mein neuer Schüler geworden ist.
Nun ging Andreas ein Licht auf. Er sollt ein waschechter Zauberer.
»Aber wieso gerade ich? Ich war doch nur zufällig in dem Wirtshaus.«
»Mein Junge, nichts geschieht aus Zufall. Es ist dein Schicksal, dass dich zu mir geführt hat. Ich habe dich schon eine ganze Weile beobachtet, da ich wusste, dass du den Weg zu mir finden würdest. Allerdings hat es wegen deiner Faulheit länger gedauert, als ich vermutete. Aber nun bis ja hier.«
Ambraks entzündete ein Feuerchen im Kamin, nahm seinen Hut ab und stellte ihn umgekehrt auf den Tisch.
»Ich denke, es wird Zeit für das Abendessen. Wir haben lange genug geredet. Und im Gegensatz zu dir, habe ich noch keinen Bissen im Magen.«
Er griff in den Hut und holte köstlichste Speisen daraus hervor, bis der Tisch fast unter dem Gewicht zusammen zu brechen drohte.
»Greif nur zu, Andreas, wenn dich noch immer der Hunger quält. Es ist genug für uns beide da.«
Also speisten und tranken sie bis spät in die Nacht hinein.
Am nächsten Tag erwachte Andreas allein im Haus. Er sah sich um, doch der Alte war nicht da. Stattdessen lag ein Zettel auf dem Tisch.
›Sei ein braver Junge und putze bitte das Haus. Gegen Abend werde ich wieder zurück sein. Dann beginnt deine erste Zaubererlektion.‹
Andreas dachte allerdings nicht im Traum daran in dieser Bruchbude sauber zu machen. Warum sollte er auch? War er Ambraxs etwa etwas schuldig?
Nun gut, der Alte hatte die Zeche im Wirtshaus bezahlt und am gestrigen Abend ein Festessen bereitet. Aber das war auch schon alles.
Andreas packte also seinen Beutel und wollte gerade durch die Tür verschwinden, als er im Sessel den sonderbaren Hut entdeckte.
»Dann wollen wir doch mal sehen, wie du funktionierst.«
Er griff hinein und zog eine Geflügelkeule heraus.
»Das ist ja ein prima Ding. So werde ich nie Hunger leiden müssen. Und arbeiten gehen muss ich mit diesem Hut auch nie wieder. Dich nehme ich mit.«
Er packte den Zauberhut in seinen Beutel und verließ das Haus.
Während Andreas den ganzen Tag über im tiefen Wald auf einer Lichtung saß und die herrlichsten Speisen in sich hinein stopfte, kam Ambraxs am Abend nach Hause und sah sofort, was geschehen war.
»Ich habe es mir gedacht. Aber wollen wir hoffen, dass du bald zur Vernunft kommst, damit die Vernunft dir nicht plötzlich zuvor kommt. Wir werden sehen.«
Es war mittlerweile dunkel geworden und Andreas lag satt und müde auf der Waldlichtung an einen Baum gelehnt.
»Puh, so viel habe ich ja noch nie auf einmal gegessen. Ich komme mir vor, als wäre ich das erste Mal so richtig satt geworden. Der Alte wusste ja gar nicht, was er da für einen prima Hut hatte. Er hat ihn bestimmt nie wirklich richtig ausgenutzt. Aber nun kann das gute Stück ja mir und meinem Bauch dienen.«
Er schloss die Augen und schlief schon bald tief und fest.
Doch in dieser Nacht sollte er von schlimmen Träumen geplagt werden, denn das viele Essen drückte ihm auf den Magen.
Am nächsten Morgen fühlte sich Andreas, als hätte er drei Nächte nicht geschlafen. Er kam nur mit Mühe und Not auf die Beine, stolperte, fiel um und landete wieder auf dem Boden.
»Nanu, was ist denn los? Warum kann ich mich den nicht auf den Beinen halten?«
Er sah sich um und bemerkte erst jetzt, dass sein Bauch dreimal so dick war, wie am Abend zuvor.
Andreas bekam einen riesigen Schrecken. Wie konnte so etwas nur passieren? Er hatte zwar viel gegessen, aber so viel nun auch wieder nicht. Das konnte nicht mit rechten Dingen zu gehen.
Ein weiteres Mal wollte er aufstehen, aber sein Körper war nun rund wie eine Kugel und weder Arme noch Beine berührten den Boden.
»Oh, nein. Jetzt liege ich hier, mitten im Wald, wo kein Mensch mich finden wird.«
Wie ein hilfloser Käfer strampelte er mit den Beinen, aber nichts geschah.
Er kramte in seinen Taschen und fand den Hut.
»Wenigstens werde ich hier nicht verhungern.«
Andreas griff in den Zauberhut, fand aber nichts darin. Hut und Magen schienen heute leer zu bleiben.
Er fing an zu weinen. Dicke Tränen kullerten an seinen Wangen herab, aber es war niemand in der Nähe, der es hätte hören können. Er war mutterseelenallein.
»Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt, mein junger Freund.«, erklang plötzlich die Stimme des Zauberers.
Andreas blickte um sich, konnte aber nichts erkennen.
»Dein Bauch ist dir im Weg, deswegen kannst du mich nicht sehen.«
Ambraxs nahm den Zauberhut an sich und steckte ihn in seinen Beutel.
»Dieser Hut ist etwas ganz besonderes. Er wird seinen Besitzer jederzeit satt machen. Aber wenn er gestohlen wird, kann er bisweilen etwas böse werden. Was dann passiert, spürst du ja nun am eigenen Leibe. Dabei bist du noch gut dabei weg gekommen. Der Letzte, der es wagte, den Hut zu stehlen, ist sogar fast geplatzt.«
Er holte ein feines Pulver aus seinem Beutel und verstreute es auf Andreas Bauch, welcher sofort in sich zusammen schrumpfte.
»Ich hoffe du hast deine Lektion gelernt. Es ist halt nicht alles Gold, was glänzt. Was in der Hand des einen ein wahrer Schatz ist, kann in der Hand des anderen zu einem richtigen Fluch werden.«
Andreas stand auf und sah beschämt zu Boden.
»Es tut mir Leid, Meister Ambraxs. Ich verspreche euch, dass ich das nie wieder tun werde. Und ich werde von nun an ein folgsamer Schüler sein, wenn ihr mich denn noch als solchen haben wollt.«
»Ob ich dich noch haben will?«, fragte der Zauberer.
»Wo denkst du denn hin? Aber natürlich. Wer einmal mein Schüler geworden ist, wird es so lange sein, bis er seine Ausbildung beendet hat. Sie den heutigen Tag als deine erste Prüfung an. Du hast sie zwar nicht bestanden, aber beim nächsten Mal wirst du sie besser machen. Das weißt du und das weiß ich.
Also packe deine Sachen zusammen. Wir gehen zurück und beginnen mit deinem Unterricht.«
Einige Jahre später, Ambraxs war mittlerweile verstorben, saß ein Mann von kräftiger Statur in einem Wirtshaus und trank einen Krug Wein.
Er saß einfach nur da und besah sich einen jungen Kerl, der ein üppiges Mahl in sich hinein stopfte. Und wie es der Zufall wollte, konnte er die Zeche nicht bezahlen.
Also stand der Mann mit dem Wein auf und gab dem Wirt ein paar Münzen in die Hand.
»Kümmert euch nicht weiter um diesen Nichtsnutz. Er gehört zu mir und ich zahle alles, was er in Zukunft bei euch verzehren wird.«
Dann klopfte er dem Jungen auf die Schulter und bat ihn, mit auf die Straße zu kommen, wo er ihm ein ganz besonderes Angebot machte.
»Wenn ich mich vorstellen darf, ich bin Andreas, ein Zauberer. Ich bin gerade auf der Suche nach einem Schüler, der die Kunst der Zauberei von mir erlernen möchte. Ich glaube, dass ich in dir jemanden gefunden habe, der meinen Vorstellungen entspricht. Wenn du interessiert bist, dann begleite mich doch in mein Haus.«
Und so gingen sie gemeinsam durch die Stadt und verschwanden in einem kleinen, verwitterten Haus, welches danach aussah, als würde es jeden Moment in sich zusammen brechen.
(c) 2007, Marco Wittler
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