Opas Schatzkarte
Lukas stand auf dem Dachboden und hielt ein großes Bild in die Höhe. Seine zwei Freunde Christian und Tim sahen es sich nur kurz an.
»Das ist doch nichts Besonderes. Ich dachte, du wolltest uns etwas wirklich Tolles zeigen.«
Lukas stellte das Bild zur Seite und sah traurig auf die Abbildung. Es zeigte seinen Opa und seine Oma bei ihrer Hochzeit.
»Aber hier oben ist alles etwas Besonderes. Mein Opa hat viele Sachen gesammelt, die alle eine Bedeutung haben.«
Tim lachte.
»Ja klar, sie bedeuten, dass sie auf den Sperrmüll gehören. Und dieses langweilige Bild gehört als erstes dort hin.«
Verächtlich stieß er mit einem Fuß dagegen. Der Rahmen kippte, aber Lukas konnte ihn gerade noch halten, bevor er am Boden zerbrach.
»Seit doch etwas vorsichtiger. Wenn hier irgendwas kaputt geht, dann bekomme ich riesigen Ärger.«
Christian und Tim kletterten bereits die steile Treppe nach unten.
»Wenn du uns das nächste Mal hier hoch lockst, dann such dir etwas besseres aus. Du willst und doch nicht zu Tode langweilen.«
Ein lautes Gähnen kam aus Christians Mund. Lukas saß auf dem Boden des Dachbodens und war enttäuscht. Er hatte gehofft, dass seine Freunde genau so begeistert von den Schätzen des Opas sein würden wie er. Aber da hatte er sich getäuscht.
»Komm Tim. Wir gehen nach Hause. Hier ist es mir zu langweilig.«
Lukas rief ihnen nicht hinterher. Er sah auch nicht durch die Luke nach unten. Er lies die beiden Jungs einfach gehen.
»Ach, Opa. Wenn du doch noch bei mir wärst, dann hättest du es den beiden so richtig zeigen können.«
Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen und seufzte einmal tief.
In diesem Moment klirrte etwas neben ihm. Lukas schreckte hoch, sah sich um und entdeckte das Maleur. Das Bild war umgefallen und das Glas zersprungen.
»Das kann doch nicht sein. Ich habe es doch gar nicht berührt. Das kann ich nicht gewesen sein. Opa sei mir bitte nicht böse.«
Ein paar Tränen rannen an seiner Wange herab.
Er ging zum Rahmen, hob ihn auf und schob vorsichtig die Scherben zusammen. Das Bild hatte vom Glas ein paar Schrammen abbekommen. Vorsichtig löste Lukas es aus dem Rahmen und holte die letzten Scherben aus dem Rahmen.
»Hoffentlich sind Mama und Papa nicht sauer und können eine neue Scheibe besorgen.«
Doch dann fiel ihm etwas auf. Auf der Rückseite des Bildes war etwas zu sehen. Zuerst konnte Lukas es nicht erkennen, da er alles verschwommen sah. Er wischte sich die Tränen weg und sah noch einmal genauer hin.
»Was ist denn das?«
Er drehte das Bild einmal im Kreis und besah es sich von allen Seiten.
»Das ist doch eine Schatzkarte. Was anderes kommt gar nicht in Frage.«
Er rollte das Papier vorsichtig ein und verließ den Dachboden und lief in sein Zimmer. Er schnappte sich seinen Kompass und steckte diesen in seine Tasche.
Kaum eine Minute später stand er in der Garage und suchte nach einem Spaten.
»Das wäre doch gelacht, wenn ich den Schatz nicht finden würde.«
Er lief in den Garten und sah sich um. Er verglich alles, was er sah, mit der Karte. Schließlich blieb sein Blick an der großen Eiche hängen.
»Dort drüben geht es los.«
Dreißig Schritte nach Norden sollten es sein. Lukas machte den ersten Schritt. Doch dann fiel ihm etwas ein.
Sein Opa war ein Stück größer als er und hatte damals bestimmt auch größere Schritte gemacht.
»Dann muss ich eben auch große Schritte machen.«
Er begann von vorn und holte weit mit seinen Beinen aus. Eins, zwei, drei, vier, …
»…, neunundzwanzig, dreißig. Wo geht es weiter?«
Er sah wieder auf die Karte. Manche Teile waren leicht verwischt und nur schwer zu lesen. Aber mit Mühe und Geduld war auch das zu schaffen.
Es dauerte eine ganze Stunde, bis Lukas am Ziel angekommen war. Auf der Karte war ein großes rotes Kreuz.
»Ich habe es geschafft.«
»Was treibst du denn da?«
Lukas erschrak und drehte sich um. Hinter dem Zaun standen Christian und Tim. Sie hatten wohl schon seit einer ganzen Zeit beobachtet.
»Ich mache gar nichts. Ich spaziere nur durch den Garten.«
Er lies Spaten und Kompass fallen. Die Karte rollte er ein und wollte sie unter seinen Pulli stecken, doch dafür war es schon zu spät.
Die beiden Jungs kletterten über den Zaun und kamen näher.
»Wenn du gar nichts machst, dann zeig doch mal her, was dein Nichts ist.«
Christian drohte mit geballter Faust und forderte die Karte heraus. Lukas zögerte zuerst, bekam dann aber doch Angst und gab sie heraus.
»Was soll denn das für ein Geschmiere sein? Das ist doch keine Schatzkarte. Die hast du doch selber gemalt, nur um uns zu ärgern. Gib es zu.«
Lukas schüttelte den Kopf.
»Die ist von meinem Opa. Er hat sie gezeichnet und er hat auch was versteckt.«
Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. Doch da war es bereits zu spät.
Christian schien zu überlegen. Er sah sich um und blickte immer wieder auf die Karte. Aber scheinbar konnte er sie nicht entziffern.
Verächtlich warf er sie zu Lukas. Dann fang mal an zu suchen, du Schlaumeier. Ich will sehen, was der Alte versteckt hat. Vielleicht kann ich es ja gut gebrauchen.«
In Christians Kopf war das Bild einer großen Schatztruhe entstanden, bis zum Rand gefüllt mit Gold und Geschmeide. Tim hingegen stand nur daneben und wartete ab, was geschah.
Lukas wusste nicht, was er machen sollte. E wollte den beiden Jungs auf keinen Fall den Schatz geben. Aber er hatte auch viel zu viel Angst davor, von ihnen verhauen zu werden.
Also nahm er sich den Spaten und begann zu graben.
Nach einer Stunde stieß er auf etwas Hartes. Es schien eine hölzerne Kiste zu sein. Christian stieß Lukas beiseite, hüpfte in das Loch und grub mit den Händen weiter, bis er schließlich ein kleines Kästchen hervor holte.
»Der Schatz. Ich habe ihn gefunden. Und er gehört mir ganz allein.«
Lukas begann zu weinen. Christians Augen glühten, während Tim nicht wusste, was er machen sollte.
Christian öffnete langsam das Kästchen und sah hinein. Und da fielen seine Mundwinkel beide herab. Er war völlig enttäuscht.
»Was soll denn das sein? Das ist doch kein Schatz. Das ist nur wertloser Müll.«
Er warf alles zurück in das Loch, zog Tim am Arm und ging zum Zaun.
»Lass uns bloß verschwinden. Der Kerl hat uns reingelegt.«
Sie verschwanden und ließen Lukas allein zurück.
Nun war auch Lukas neugierig geworden. Er glitt in das Loch und nahm das Kästchen hoch. Er öffnete es und sah hinein. Und er fand, was er sich erwartet und erhofft hatte. Er hielt die wertvollsten Schätze in Händen, die sein Opa einmal besessen hatte. Es lagen darin ein kleines Schneckenhaus, ein paar Samenkörner, Steine, Federn und ein kleiner Zettel.
Lukas faltete ihn auseinander und las, was darauf stand.
»Hallo du. Mein Name ist August. Ich bin ein kleiner Junge und acht Jahre alt. In diesem Kästchen sind meine liebsten Schätze, die ich sonst immer bei mir getragen habe. Aber nun werde ich sie in der Erde verstecken und hoffe, dass sie eines Tages gefunden werden und jemand anderem Freude bereiten.
Liebe Grüße,
Dein August«
Lukas begann vor Freude zu weinen. Er hatte eine Botschaft von seinem Opa gefunden. Und sie war wunderschön.
Er schaufelte die Erde zurück in das Loch und steckte eines der Samenkörner dazu.
»Vielleicht wird eines Tages daraus ein großer Baum, der mich immer an Opa erinnern wird.«
Er ging zurück ins Haus und zeigte seinen Eltern was er gefunden hatte.
(c) 2007, Marco Wittler
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