Flaschenpostbote Knut reitet die Welle
Knut zog sich die blaue Jacke über, strich die Ärmel glatt und sah sich prüfend im Spiegel an. Etwas fehlte da noch. Ach, ja. Die passende Schirmmütze gehörte unbedingt auf den Kopf. Er legte den breiten Ledergürtel und seine große, schwere Tasche um. Zuletzt rückte er das Schild mit der Aufschrift FLASCHENPOST auf der Brust zurecht und nickte endlich. Er war fertig und konnte in den Tag starten.
Der Meermann, verließ er sein Haus und schwamm los. Die Flaschenpost musste ausgeteilt werden. Sein Weg führte ihn wie immer zuerst zur nahen Grundschule, wo die Kinder am Zaun schon auf ihn warteten.
»Knut!«, stürmten sie laut rufend auf ihn zu. »Kannst du uns eines deiner verrückten Erlebnisse erzählen?«
Knut strich sich seinen Schnurrbart zurecht, dachte kurz nach und begann zu grinsen.
»Mir fällt da etwas ein. Ich bin neulich über die Wellen geritten Davon werde ich euch erzählen.«
Auf dem Schulhof wurde es mucksfischchenstill, als Knut zu erzählen begann.
Flaschenpostbote Knut war schon immer besonders stolz auf sich und seinen Beruf gewesen. In den vielen Jahrzehnten, in denen er bereits tätig war, hatte er noch nie auch nur eine einzige Flaschenpost verloren oder vergessen. Er ging sehr gewissenhaft mit den ihm anvertrauten Briefen um.
Doch heute sah es anders aus. Knut hatte den Stadtrand auf der anderen Seite erreicht. Seine Tour war zu Ende, die Arbeit getan. Ein letztes Mal kontrollierte er seine lederne Umhängetasche, um sicher zu gehen, nichts vergessen zu haben, da fand er eine letzte Flasche.
»Oh, verdammt. Das ist mir ja noch nie passiert.«
Er konnte sich diesen Fehler selbst nicht erklären. Er war von sich selbst enttäuscht.
»Dann wird es heute wohl etwas später Feierabend werden.«
Knut las die Adresse und ärgerte sich noch einmal. Er musste tatsächlich einmal quer durch die ganze Stadt auf die andere Seite.
»Das schaffe ich niemals bis zum Feierabend.«
Während sich der Meermann bereits auf den Weg machte und los schwamm, kam ihm eine Idee. Er hatte schon so manches Mal die Delfine beobachten können, die sich gern über der Stadt am Meeresgrund aufhielten und spielten. Dabei durchstießen sie oft die Oberfläche und surften auf den hohen Wellen dahin.
»Ob ich das auch mal ausprobieren sollte? Die Richtung jedenfalls stimmt.«
Knut dachte nicht weiter nach, schwamm steil nach oben und streckte den Kopf aus dem Wasser. Eine kühle Brise empfing ihn hier draußen.
»Dann will ich mal.«
Unsicher gab er Gas, nahm Geschwindigkeit und ließ von der nächsten Welle erfassen und die Höhe heben.
Plötzlich wurde Knut ganz schnell und immer schneller. Das aufgebäumte Wasser schob ihn regelrecht über die Meeresoberfläche.
»Beim Neptun. Das ist ja der Wahnsinn!«, rief der Flaschenpostbote laut und grinste über das ganze Gesicht, während ihm das Wasser immer wieder ins Gesicht spritze. Kurz vor dem anderen Ende der Stadt, ließ er sich dann in die Welle sinken. Sie brach über ihm zusammen und verschluckte den Meermann.
Knut hatte den Empfänger der Flaschenpost in nur wenigen Minuten erreicht. So schnell hatte er die Stadt noch nie am Meeresgrund durchqueren können. Zufrieden stellte er die Post zu und schwamm dann gemütlich nach Hause.
Die Kinder der Grundschule sahen Knut mit großen Augen an. Auf den Wellen des Ozeans waren sie noch nie geritten.
»Ihr könnt mir glauben, alles was ich erlebt habe, ist wahr. Ich habe sogar schon von Menschen gehört, die auf Holzbrettern über die Wellen fahren.«
Knut winkte noch einmal zum Abschied, machte sich wieder auf den Weg und verteilte die restliche Flaschenpost.
(c) 2021, Marco Wittler
Bild: Nik Karlov auf Pixabay
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