1034. Flaschenpostbote Knut holt den Sieg

Flaschenpostbote Knut holt den Sieg

Flaschenpostbote Knut war siegessicher. Heute, beim jährlichen Flaschenpostbotenrennen, das in der Stadt unter dem Meer stattfand, hatte er in seiner Jugend jedes Jahr die Goldmedaille abgeräumt. Nun, nachdem er einige Jahrzehnte nur Zuschauer gewesen war, juckte es ihn wieder in der Schwanzspitze. Er wollte es allen beweisen, dass man auch im Alter noch fit wie ein Turnschuh der Menschen war.
»Und du willst das wirklich durchziehen?«, fragte Fiete, sein achtarmiger Kollege, der bereits in der Kraken-Klasse eine Medaille gewonnen hatte.
»Unbedingt!«, antwortete Knut selbstsicher. »Ich werde den jungen Kerls schon beweisen, dass meine Erfahrung mich näher an den Sieg bringt als deren fitte Körper.«
Er rieb sich noch einmal die Schwanzflosse mit einem belebenden Öl ein, bevor er an den Start ging.
»Wartet hier auf mich. Ich bin in fünf Minuten mit der Medaille wieder da.«
Der alte Meermann nahm Aufstellung, reihte sich neben neun weiteren Flaschenpostboten der Meermann-Klasse ein und lächelte seinen Gegner kurz zu. Dann begann der Schiedsrichter auch schon den Countdown herab zu zählen.
»Drei … zwei … eins … Los!«
Die zehn Sportler schwammen los, gaben ihr Bestes und rasten regelrecht über die Kampfbahn. Schnell waren drei Favoriten vorn, die den Sieg wohl unter sich ausmachen würden. Das konnte Knut, der schon wenige Sekunden nach dem Start auf dem letzten Platz war, sehr gut beobachten. Als er schließlich im Ziel ankam, hätte er auch kriechen können. Sehr viel schneller war er nicht gewesen.
Fiete nahm Knut in Empfang und reichte ihm etwas zu trinken. »Die sind halt alle viel jünger und trainierter. Du hattest keine Chance.«
Aber Knut schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Ohne Goldmedaille schwimme ich nicht nach Hause. Ich werde noch eine bekommen. Du wirst schon sehen. Ich habe mich versehentlich in der falschen Startgruppe angemeldet.«
Der alte Flaschenpostbote warf die Trinkflasche fort und machte sich wieder auf den Weg zum Start. Er wollte es gleich noch einmal versuchen.
Er reihte sich neben neun neuen Gegner ein, die ihn mit großen Augen anblickten.
»Nehmt euch in Acht.«, sagte Knut. »Ich habe schon viele Rennen gewonnen und habe auch heute vor, den Sieg zu erringen.«
Der Schiedsrichter kam heran, sah irritiert auf die zehn Sportler und zuckte schließlich mit den Schultern.
»Drei … zwei … eins … Los!«
Knut grinste breit und ließ seinen Gegnern sogar noch ein paar Sekunden Vorsprung, bevor er sich selbst in Bewegung setzte. Dann überwand er die Rennstrecke in gemütlichem Tempo und überholte dabei einen Sportler nach dem anderen.
Fiete, der am Rand der Bahn stand schüttelte den Kopf. Einen Wettbewerb gegen sieben Schnecken und zwei Seesterne zu gewinnen, war wahrlich keine Kunst.
Es kam, wie es kommen musste. Der alte Flaschenpostbote kam als erster ins Ziel. Mit einem Kopfschütteln überreichte ihm eine Meerjungfrau eine Goldmedaille, die Knut stolz entgegen nahm und sofort seinem Kollegen zeigte.
»Siehst du? Ich habe es dir gesagt. Ohne Sieg schwimme ich nicht nach Hause.«
Während er noch sprach, bekam er nicht mit, dass eine der Schnecken inzwischen auch die Ziellinie erreicht hatte und die echte Goldmedaille überreicht bekam.

(c) 2021, Marco Wittler

Bild: Nik Karlov auf Pixabay

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