1033. Flaschenpostbote Knut angelt

Flaschenpostbote Knut angelt

Flaschenpostbote Knut zog sich die blaue Jacke über, strich die Ärmel glatt und sah sich prüfend im Spiegel an. Etwas fehlte da noch. Ach, ja. Die passende Schirmmütze gehörte unbedingt auf den Kopf. Er legte den breiten Ledergürtel und seine große, schwere Tasche um. Zuletzt rückte er den Seestern auf der Brust zurecht und nickte endlich. Er war fertig und konnte in den Tag starten.
Der Meermann, verließ er sein Haus und schwamm los. Ihm folgte ein großer Krake, der die restlichen Taschen in seinen Armen hielt. Die Flaschenpost musste ausgeteilt werden. Sein Weg führte ihn wie immer zuerst zur nahen Grundschule, wo die Kinder am Zaun schon auf ihn warteten.
»Knut! Fiete! Enno!«, stürmten sie laut rufend auf die Drei zu. »Könnt ihr uns eines eurer verrückten Erlebnisse erzählen?«
Knut strich sich seinen Schnurrbart zurecht, dachte kurz nach und begann zu grinsen.
»Mir fällt da etwas ein. Ich habe vor ein paar Tagen versucht zu entspannen. Aber das hat nicht so gut funktioniert. Davon werde ich euch jetzt berichten.«
Auf dem Schulhof wurde es mucksfischchenstill, als Knut zu erzählen begann.

Flaschenpostbote Knut hatte einen langen und harten Arbeitstag hinter sich gebracht. Stunde um Stunde war er durch die Straßen der Stadt unter dem Meer geschwommen und hatte Flaschenpost in Briefkästen gestellt. Jetzt hatte er endlich Feierabend und konnte sich entspannen.
Er hatte seine lederne Umhängetasche und die Dienstjacke im Postamt an den Nagel gehangen. Nur seine Mütze bleib, wo sie war. Auf diese Weise sah man nicht zu viel von seinen längst ergrauten und dünner gewordenen Haaren.
Knut schnappte sich seine Angel und schwamm gemütlich an den Rand eines tiefen Seegrabens, der mehrere tausend Meter tief sein sollte. Aus dieser Tiefsee wollte sich der Meermann sein Abendessen fischen oder auch einfach nur die Stille der Einsamkeit genießen.
Mehrere Stunden saß er einfach da, mal mit Blick in den Graben, mal mit geschlossenen Augen. Während langsam über dem Meeresspiegel die Sonne unterging und es im Wasser immer dunkler wurde, zog plötzlich etwas an der Angelleine. Das Abendessen hatte angebissen.
Langsam holte Knut die Leine ein und war sehr gespannt, was er gefangen hatte. Nur noch wenige Sekunden, bis er seine Neugierde befriedigen konnte. Der Haken kam aus der Tiefsee hoch.
»Und?«, fragte der alte Meermann? »Was hast du für mich?«
Der Anglerfisch, über dessen Kopf sein natürliches Licht leuchtete hielt ihm einen alten Schuh entgegen. »Tut mir leid. Mehr habe ich in der Dunkelheit nicht gefunden.«
Knut seufzte laut und hörte trotzdem noch das Knurren seines Magens.
»Dein Licht hat auch schon mal heller geleuchtet. Du brauchst wohl eine neue Glühbirne, wenn du nicht mal mehr einen Fisch von einem Schuh unterscheiden kannst.«
Der Anglerfisch verzog das Maul und ließ kurz die vielen scharfen Zähne aufblitzen. »Dann tauch doch das nächste Mal selbst da runter.«
Er ließ die Angel los und schwamm beleidigt davon.

Die Kinder der Grundschule sahen den Flaschenpostboten mit großen Augen an. Wer warf denn alte Schuhe ins Meer? Das konnten sie sich nicht vorstellen.
»Ihr könnt mir glauben, alles was ich erlebt haben, ist wahr.«

(c) 2021, Marco Wittler

Bild: Nik Karlov auf Pixabay

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