1070. Wir durchkreuzten den Plan der Geister (Mann und Manni 37)

Wir durchkreuzten den Plan der Geister

Die Nacht war herein gebrochen. Schon vor einigen Stunden war die Sonne untergegangen und hatte dem Mond und den Sternen Platz gemacht. Die nahe Kirchenglocke schlug eben zur Geisterstunde, was mich persönlich nicht weiter interessierte, denn ich lag auf meinem Kratzbaum und schlief tief und fest.
Moment mal. Kratzbaum? Ja, du hast richtig gelesen. Ich lag tatsächlich auf einem Kratzbaum. Als Katze, beziehungsweise als Kater machte man das halt so.

Mein Name ist Manni und lebe in einer WG mit ein paar ziemlich schrägen Mitbewohnern, die ich bei Zeiten noch vorstellen werde. Aktuell hätte ich es nicht machen können, denn, wie bereits erwähnt, lag ich im Tiefschlaf.
Doch plötzlich hörte ich ein Geräusch. Sofort öffneten sich meine Augen zu zwei Schlitzen. Ich sah mich unauffällig um. Niemand da. Weder mein tollpatschiger Bruder Lord Schweinenase, noch die hyperaktive Mini-Mietze waren zu sehen. An den Bengalen brauchte ich erst gar keinen Gedanken verschwenden. Als Angstkater verkroch er sich in den Nächten immer unter irgendeinem Bett. Doch auch die beiden Menschen, der Mann und die Frau, hatten ihr Schlafzimmer nicht verlassen. Es musste jemand anders in unseren heimischen vier Wänden unterwegs sein.
Ich rappelte mich auf, kletterte zum Boden hinab und nahm das Wohnzimmer ganz genau unter die Lupen. Auf leisen Samtpfoten suchte ich jeden einzelnen Quadratmeter ab und behielt alle Schränke und Regale im Auge. Nichts.
Und dann fuhr mir etwas eiskalt den Rücken hinunter. Ich bekam eine Katzenhaut. Mit standen die Haare zu Berge. Ein kaum schimmernder Schemen kam durch die Wand herein und auf mich zu. Ein Geist.
Wäre ich ein normaler Straßenkater gewesen, hätte ich sofort Angst bekommen und wäre davon gelaufen. Aber als bester Ermittler der ganzen Stadt konnte ich mir diese Art der Gefühle nicht erlauben. Ich trommelte also mein Team zusammen.
Lord Schweinenase, der noch immer Futterreste an der Nase kleben hatte, kam aus seinem schäbigen, angeranzten Pappkarton hervor und setzte sich gähnend neben mich. Die Mini-Mietze, sprang mit hohem Tempo aus einer dunklen Ecke hervor und ließ ihre Krallen im fahlen Mondlicht aufblitzen. Ihr Blick, den sie mir zuwarf, sprach Bände. Sie wollte sich auf unser Gegenüber stürzen und ihm das Bettlaken zerfetzen. Ich hielt sie zurück. In dieser Situation musste ruhig Blut gewahrt werden. Vielleicht konnten wir alles auf friedlichem Wege lösen.
»Huuu!«, machte der Geist und kam immer näher. »Los, habt Angst vor mir. Rennt weg in eurer Panik.«
Ich sah dem Geist in die nicht vorhandenen Augäpfel und schüttelte schließlich den Kopf. In meinem eigenen Revier würde ich niemals die Segel streichen und abhauen. Außerdem stand mein Team fest zu mir.
»Ihr könnt nicht gegen einen Geist bestehen.«, fuhr er in seiner schaurigen Stimme fort. »Ich habe Fähigkeiten, die ihr euch in euren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen könnt.«
Er schwebte zu unserer Futterstation. In mir schrillten sämtliche Alarmsignale. Bei meinem Nachtmahl verstand ich keinen Spaß. Während ich den Geist beobachtete, sah ich im Augenwinkel, dass die Mini-Mietze bereits sämtliche Muskeln, denn aus etwas anderem schien sie nicht zu bestehen, anspannte. Sie würde auf mein Kommando sofort auf unseren Gegner springen.
Der Geist hob eine seiner Hände, hielt sie über den Wassernapf und ließ einige Tropfen davon nach oben schweben.
Mir schauderte. Wie war das nur möglich? Das widersprach jedem Naturgesetz und der Physik. Wasser wurde, wie alles andere auch, durch die Anziehungskraft am Boden gehalten.
In diesem Moment löste sich jemand aus dem Schatten. Ein gepunkteter Kater, der dem ängstlichen Bengalen nicht ganz unähnlich sah, mit Umhang und Augenmaske bekleidet war, kam aus dem Schatten. Es war der todesmutige ShadowCat, der uns schon einmal aus größter Not gerettet hatte.
»Mein Name ist ShadowCat.«, sagte ShadowCat. »Ich errette Ängstliche und Verzweifelte aus größter Not.«
Er schob sich zwischen uns und dem Geist, sah diesen und dann den Wassernapf an.
»Du bist ein Betrüger. Du kannst kein Wasser schweben lassen.«
Er hob seine Pfote, fuhr langsam die messerscharfen Krallen aus, schob den Napf zur Seite und griff zu. Durch den Boden holte er zwei weitere Geister zu uns herauf. In ihren Mündern steckten Strohhalme, auf denen sie die Wassertropfen in der Luft tanzen ließen.
»Das ist Physik, meine Freunde. Wasser kann nicht schweben, auch nicht durch Geister.«
Die Geister waren entsetzt. Mit einem so furchtlosen Gegner hatten sie nicht gerechnet. Sie ergriffen die Flucht, schwebten durch die Wände ins Freie und kamen nie wieder.
ShadowCat verbeugte sich kurz vor. »Jederzeit wieder zu Diensten.« Dann verschwand er wieder in den Schatten.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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