1102. Wir kämpften gegen drei Seiten (Mann und Manni 44)

Wir kämpften gegen drei Seiten

Es war, wie könnte es auch anders sein, tiefste Nacht. Irgendwie stellte ich in der letzten Zeit vermehrt fest, dass Verbrechen in unserer Umgebung ständig in der Dunkelheit stattfanden. Das war natürlich absolut schädlich für meinen Schönheitsschlaf. Doch in dieser Nacht war alles ruhig.
Ich hatte es mir vor ein paar Stunden auf dem weichen Winterpullover des Mannes gemütlich gemacht, den er auf dem Sofa vergessen hatte. Wenn man, so wie ich, ein Kater war, reichte so ein Kleidungsstück völlig aus, um komplett darauf zu passen.
Ganz plötzlich und für mich völlig unerwartet polterte etwas in der Küche. Töpfe und Pfannen stürzten auf den Boden und rissen alle Bewohner unserer WG aus dem wohl verdienten Schlaf.
Ich schreckte hoch und sah mich sofort aufmerksam um. Wer konnte dafür verantwortlich sein? Mein erster Gedanke war direkt bei meinem Bruder Lord Schweinenase, der nicht nur einen ständig verdreckten Riechkolben im Gesicht zur Schau trug, sondern sich auch durch eine überdurchschnittliche Tollpatschigkeit auszeichnete.
Ich verließ das Sofa und schlich auf meinen vier Samtpfoten zur Küche. Es dauerte nur Sekunden, bis sich die hyperaktive Mini-Mietze an meine Seite gesellte. In ihren Augen blitzte es bereits auf. Ihr Puls schien sich auf dem maximalen Niveau zu befinden. Sie würde sich, wenn nötig, sofort auf jeden Eindringling stürzen. Sie würde sich aber auch, dessen war ich mir bewusst, auf einen Eindringling stürzen, wenn es nicht nötig war. Ihr Kampfgeist war geweckt. Dieser erwartete nun auch eine entsprechende Handlung.
Hinter mir hörte ich das Tapsen von nicht eingezogenen Krallen auf dem Laminat. Ich warf einen Blick rückwärts und erkannte Lord Schweinenase. Er hatte offensichtlich keine Schuld am Lärm. Dann blieb eigentlich nur noch der Bengale. Doch ihn konnte ich von vornherein ausschließen. Er war so dermaßen ängstlich, dass er sich nachts niemals freiwillig und allein unter dem Bett hervor wagte.
»Was geht hier vor sich?«, polterte nun die Stimme des Mannes los, der aus dem Schlafzimmer kam.
Ich schüttelte den Kopf. So viel zum Thema Überraschungsmoment. Der war jetzt dahin. So sehr ich ihn auch als Assistenten bei schwierigen Ermittlungen und als Partner schätzte, wenn es um die Verteidigung unserer WG ging, war er der Falsche. Ihm fehlten schlicht die Krallen, um sich richtig zu verteidigen. Also gab ich ihm zu verstehen, dass er sich wieder verziehen und die Frau verteidigen sollte, falls es zum Äußersten kommen sollte.
Zu dritt schlichen wir also weiter. Schon vom Flur aus konnte ich sehen, dass das Fenster offen stand. Es war also ein Leichtes, hier einzudringen.
Und plötzlich huschte da ein Schatten von der einen zur anderen Seite, dann ein zweiter und ein dritter. Wer oder was war das?
Ich gab den anderen ein Zeichen. Wir teilten uns auf. Wenn wir es tatsächlich mit drei Einbrechern zu tun hatten, sollte jeder von uns einen erledigen.
Ich sprang auf, drückte mit der Pfote auf den Schalter über mir und ließ das Deckenlicht aufleuchten. Wir sahen uns erschrockenen Gesichtern gegen. Wir selbst waren allerdings nicht minder erschrocken. Es waren Waschbären, klein, gemein, mit scharfen Krallen bewaffnet und im Nahkampf bestens ausgebildet. Zu unserem Pech waren es nicht drei, sondern gleich sechs dieser Spießgesellen.
Ich warf meinen Gefährten einen kurzen Blick zu. Ich war mir nicht sicher, ob wir diesen Gegnern gewachsen waren. Lord Schweinenase stimmte mir zu. Die Mini-Mietze ließ ihr Fell zu Berge stehen und machte sich zum Absprung bereit. Sie zeigte niemals Angst und würde auch vor keinem Gegner weichen, was ihr eines Tages zum Verhängnis werden konnte.
Während ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, vernachlässigte ich straffällig die Beobachtung unserer Gegner. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie sich untereinander verständigt und sich aufgeteilt. Jeder von uns Dreien sah sich nun zwei Einbrechern gegenüber. Unsere Chancen, aus dieser Sache heil heraus zu kommen und den Inhalt des Kühlschranks zu verteidigen, sanken deutlich ab.
Wir knurrten uns gegenseitig an und ließen die Krallen im Deckenlicht aufblitzen. Und dann ging es los. Die Waschbären stürmten uns entgegen. Wir sprangen zeitgleich auf und versuchten, sie von hinten zu packen. Der Kampf sollte gerade in die heiße Phase eintauchen, als jemand in die Küche gestürmt kam. Es war die Frau, die in ihren Händen einen langen Besen hielt.
»Raus hier!«, brüllte sie. »Verdammtes Diebespack! Ihr seid hier nicht willkommen.«
Mutig drängte sie die Waschbären zurück, drohte ihnen immer wieder mit Scheinangriffen und Schlägen, die absichtlich ins Leere gingen. Sie wollte die Tiere nicht verletzen, nur nach Draußen scheuchen.
Der Plan ging auf. Die Waschbären wichen Schritt für Schritt zurück, bis sie schließlich laut schimpfend wieder durch das offene Fenster verschwanden.
»Schnell zu.« Sie legte den Besen zur Seite und schloss das Fenster.
»Ihr Drei habt das wirklich tapfer gemacht.«, lobte sie uns. »Mit Waschbären ist nicht zu spaßen. Die können ganz schön giftig werden.«
Da konnte ich ihr nur zustimmen. Ich hatte über Waschbären schon das ein oder andere im Fernsehen gehört.
»Na los, ihr tapferen Krieger.«, rief sie uns und führte uns ins Wohnzimmer. »Wer sich einem Trupp Waschbären entgegen stellt, der hat sich auch eine Belohnung verdient.«
Sie holte die Dose mit den Knuspertaschen aus dem Schrank und teilte so großzügig aus, dass sogar genug für den ängstlichen Bengalen übrig blieb.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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