Wir machten dem Spuk ein Ende
Eine Urlaubsfahrt mit dem Wohnmobil war echt das Allergrößte. Man konnte den ganzen Tag und die ganze Nacht auf seinem Kratzbaum verbringen und befand sich trotzdem nach dem Aufwachen in einer neuen Gegend oder sogar in einem neuen Land.
Während ich also als stattlicher Kater die Zeit auf meinem Schlafplatz verbrachte, fuhr der Mann unser mobiles Heim über die Straßen der Welt. Ich hatte noch mitbekommen, dass wir auf einem Schiff stoppten und ich durch das leichte Schaukeln in den Schlaf gewogen wurde.
Als ich meine Augen wieder öffnete und mein Bauch nach einer Stärkung drängte, befanden wir uns inmitten grüner Hügel, die sich von einer Seite des Horizonts zur anderen zogen. Der Anblick dieser weiten Natur lenkten mich zunächst von dem ab, was mich anschließend erschreckte. Ich begann laut zu kreischen, denn der Mann schien betrunken zu sein. Er fuhr konsequent auf der falschen Seite der Straße.
Sofort kam mein Bruder, Lord Schweinenase zu mir und legte eine Pfote zur Beruhigung auf den Rücken. Er erklärte mir, dass wir mittlerweile in England angekommen waren und man dort grundsätzlich auf der anderen Seite fuhr.
Ich wusste nicht, was mich mehr erschrecken sollte. War es Umstand, dass die Engländer völlig verrückt waren oder dass mein verblödeter Bruder einen so klaren Moment erlebte, dass er mir mit solchen Fakten etwas erklären konnte.
Ich schob seine Pfote zur Seite und versicherte ihm, das schon gewusst zu haben. Meinen Schrei führte ich auf das Pieksen eines abgefallenen Schnurrhaars zurück, nach den ich sofort unter meinem Bauch suchte.
England also. Hier fuhr man auf der falschen Seite Auto, trank warmes Bier und hatte auch sonst seltsame Essgewohnheiten. Aber man sagte den Bewohnern einen ganz besonderen Humor nach, der auf der restlichen Welt Seinesgleichen suchte. Ich freute mich schon auf die Abenteuer, die wir hier erleben würden.
So gespannt, wie ich war, so langweilig war die Realität. Außer den grünen Weiden, gab es nur hin und wieder mal eine Kreuzung oder noch seltener eine Schafherde. Warum waren wir gleich in dieses Land gefahren?
Gegen Abend, während es dann schon langsam dunkler wurde, kamen wir dann doch noch an einem Ziel an. Nun ja. Der Mann sprach von einem Ziel, für mich sah es nach einem verlassenen Parkplatz vor einer alten Burgruine, von denen es in England Unmengen geben sollte.
In den nächsten Stunden drehte sich der restliche Abend um Essen und Planungen für den nächsten Tag. An den Planungen beteiligte ich mich natürlich nicht, denn ich hatte noch einige Kalorien aufzuholen.
Mitten in der folgenden Nacht hörte ich plötzlich Lärm. Irgendwer schrie ununterbrochen. Genervt drehte ich mich mal zur einen, mal zur anderen Seite, konnte aber nicht in den Schlaf finden. Also verließ ich das Wohnmobil und machte mich auf die Suche.
Die Quelle der Schreie war schnell gefunden. Jemand trieb in der alten Ruine sein Unwesen. Was ging hier vor sich? Langsam betrat ich das alte Gemäuer, schlich mich auf meinen Samtpfoten durch alte Steine, die dick mit Moos bewachsen waren.
Plötzlich huschte etwas an der gegenüberliegenden Wand von der einen zur anderen Seite. Ein Geist.
Ich wollte es zuerst nicht glauben, aber meine Augen schienen mir keinen Streich zu spielen, denn die Erscheinung tauchte immer wieder auf.
Es gab keine Geister. Jemand spielte mir hier einen Streich, was ich nun beweisen und dem Ganzen ein Ende bereiten wollte. Ich ging weiter auf dieses Wesen zu und wollte es gerade zur Rede stellen, da sprang ein kleiner, schneller Schatten an mir vorbei und stürzte sich auf den vermeintlichen Geist.
Im Schein des Mondlichts sah ich die Krallen der Mini-Mietze aufblitzen. Sie prallte auf den Geist, schnappte sich sein Laken und zog es zu Boden, wo es flach in sich zusammen fiel. Doch wo war die Person darunter? Da war nichts. Hatte es sich um einen echten Geist gehandelt?
Wir bekamen es nun doch mit der Angst zu tun und rannten aus der Ruine zurück zum Wohnmobil. Das Laken hatte sich in der Zwischenzeit wieder aufgerichtet und flog hinter uns her. Es kam näher, schrie uns an und endete schließlich zwischen den Pfoten meines Bruders Lord Schweinenase.
Neugierig sah er es sich an und lachte, als er uns den Draht zeigte, an dem es befestigt war.
Ich hasste die Engländer und ihren schrägen Humor. Den konnte man einfach nicht verstehen.
(c) 2021, Marco Wittler
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