Unser Feind Nummer 1
Es war früher Morgen. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen und ließ den Tau auf den Wiesen verdunsten, während sich letzte Wolken auflösten. Der Mann, den wir zuletzt erwischt hatten,wie er im Internet einen Urlaub für uns alle gebucht hatte, stand stolz vor der Tür. Er hatte tatsächlich Wort gehalten. Wir blickten auf ein riesiges Wohnmobil, in dem wir die nächsten Wochen verbringen sollten, um die Welt zu bereisen.
Während die beiden Menschen unserer WG, also der Mann und die Frau Klamotten und Proviant in unserem neuen Zuhause verstauten, nahm ich die Einrichtungen für uns Katzen unter die Lupe. Es war tatsächlich alles vorhanden, was das Mietzenherz begehrte. In einem der Schränke waren gleich mehrere Katzenklos untergebracht. Ein großer Kratzbaum mit mehreren Schlafflächen stand vor dem Bett im hinteren Bereich und eine extra große Futterstation war auch vorhanden. Direkt hinter dem Fahrersitz gab es noch eine gepolsterte Liegefläche, von der aus ich die Straßen im Auge behalten konnte. Der perfekte Urlaub konnte starten. Doch bis dahin sollte noch ein Tag vergehen.
Alles, was wir für die Fahrt brauchten, war bis zum Abendessen verstaut. Die Frau hatte sich noch einige Bücher eingepackt, während der Mann seinen Laptop in einem Fach verstaut hatte, um unterwegs an seinem Buch schreiben zu können. Für uns gab es Plüschmäuse und mehr.
Ich konnte es kaum aushalten, so aufgeregt war ich. Das war dann auch der Grund, warum ich nicht einschlafen konnte. Die ganze Nacht wälzte ich mich auf meinem Kratzbaum hin und her, versuchte verzweifelt, irgendwie ins Traumland zu kommen. Es war mir nicht gegönnt. Also starrte ich irgendwann in die Dunkelheit hinein und versuchte, die verschiedenen Geräusche, die durch das auf Kipp stehende Fenster kamen, unterschiedlichen Tieren zuzuordnen. Es war unglaublich, welche Vielfalt es in unserer näheren Umgebung gab. Irgendwann ging dann die Sonne wieder auf und startete den neuen Tag.
Die Menschen stiegen fröhlich ins Wohnmobil, mein Bruder Lord Schweinenase machte sich auf dem Bett breit, die Mini-Mietze nahm den Kratzbaum in Beschlag und der Bengale suchte sich direkt das erstbeste Versteck, um sich sicherer zu fühlen. In meinem übermüdeten Zustand schlich ich mit schweren Beinen und Pfoten hinterher und musste mich die wenigen Stufen ins Innere heben lassen. Wie ein nasser Sack blieb ich auf dem Boden liegen. Der Teppich hier war nicht annähernd so gemütlich, wie der Platz hinter dem Fahrer, aber leichter erreichbar.
Der Mann setzte sich hinter das Lenkrad, drückte den Startkopf und verzog das Gesicht. Der Motor reagierte nicht und sprang nicht an. Irgendwas stimmte da nicht.
Er versuchte es ein zweites und ein drittes Mal. Unter der Motorhaube blieb es still. »Ist ja seltsam. Gestern hat es noch funktioniert.« Verwirrt stieg er aus, klappte die Haube auf und sah darunter. »Die Kabel sind kaputt. Jemand hat sie zerschnitten.«
Trotz meiner Müdigkeit wurde ich sofort hellwach. Mein Geist ratterte los. Ich versuchte sofort, erste Ermittlungen anzustellen und Schlüsse daraus zu ziehen. Wer betrieb hier Sabotage? Wer wollte uns daran hindern, in den Urlaub zu fahren? Hatten wir Feinde? Ich überlegte kurz und musste die letzte Frage eindeutig mit Ja beantworten. Ich hatte zu viele Verbrecher zur Strecke gebracht. Es gab also genug schwere Jungs, die etwas gegen mich hatten. Aber gleich so eine fiese Nummer? Unwahrscheinlich.
Ich stand auf, mühte mich aus dem Wohnmobil heraus und sah mich um. Auf dem Boden waren überall Spuren zu sehen. Irgendwer war mir kleinen Füßen immer wieder um unser fahrbares Zuhause gelaufen.
Ich holte mein Team zu mir, gab Anweisungen. Jeder sollte bei der Suche mithelfen, während sich der Mann um die Reparatur des Schadens kümmerte. Wir hingegen mussten dafür sorgen, dass es nicht wieder zu einer Sabotage kommen würde.
Im Motorraum fanden wir nichts. Doch dann fiel mir eine offen stehende Klappe im hinteren Bereich auf. Ich schickte die Mini-Mietze voraus. Sie schlich auf Samtpfoten weiter und trat die Klappe auf, die mit lautem Krachen aufflog. Sie fauchte laut, sprang ins Innere und krallte sich an unserem Gegner fest, der laut zu schreien begann.
Ich bremste sie. Ich hatte das Gefühl, dass hier niemand wirklich kämpfen wollte. Bei einem ersten Blick musste ich erkennen, dass es sich bei unserem Saboteur ein kleiner Marder handelte, dessen Augen panisch aufgerissen waren. Tränen bildeten sich in seinen Augenwinkeln. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er sprechen konnte und uns versicherte, niemandem schaden zu wollen. Er hatte nur spielen wollen und wusste nicht, dass er dabei etwas zerstören konnte.
Ich seufzte. Konnte man so einem kleinen Kerl böse sein? Nein. Ich bat ihn, das Wohnmobil zu verlassen, gab ihm ein paar Tipps, womit man sich im Wald beschäftigen konnte und schickte mein Team zurück ins Wohnmobil. Es wurde Zeit, in den Urlaub aufzubrechen.
Der startete den Motor, der nun wieder ansprang und fuhr los.
(c) 2021, Marco Wittler
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