1111. Gefahr für eine Stadt (Mann und Manni 51)

Gefahr für eine Stadt

Wir hatten die Großstadt schon eine ganze Weile hinter uns gelassen und waren mit unserem Wohnmobil weit durch das Land gefahren. Schon auf der Weltkarte und im Fernsehen kann man zumindest erahnen, wie groß Amerika war. Doch ein Gefühl dafür konnte man erst dann bekommen, wenn man sich darin bewegte. Man konnte Stunden, ja sogar Tage unterwegs sein, ohne an eine Grenze oder eine andere Küste zu gelangen. Das kannte ich aus Europa natürlich nicht.
Die Reise brachte unsere Katzen-WG irgendwann in eine einsame und verlassene Gegend. Links und rechts der Straße war nur karges Land bis zum Horizont zu sehen. Es gab trockene Büsche und vereinzelte, große Kakteen. Inmitten dieser Einöde lag irgendwann eine Kleinstadt vor uns, die auch aus einem Westernfilm hätte stammen können. Die Straße war zwar asphaltiert, aber die einfachen Häuser hätten gut und gerne hundert oder mehr Jahre auf dem Buckel haben können. Vor der Spelunke im Zentrum waren sogar mehr Pferde angebunden, als Autos auf dem Parkplatz standen. Die meisten Männer, die man auf den Gehwegen sah, trugen Cowboyhüte auf den Köpfen. Nur die Waffengurte um die Hüften fehlten.
Wir machten Rast. Genau hier wollten der Mann und die Frau die Nacht verbringen. Wir vier Katzen hatten nichts dagegen. In einer kleinen Stadt wie dieser, sollte wohl nichts Dramatisches passieren, dass uns den Aufenthalt vermiesen konnte. Wie unrecht ich damit hatte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht erahnen.
Während Mann und Frau zuerst einkaufen und danach für einen kleinen Schlummertrunk in die Spelunke gingen, hielten wir Vier im Wohnmobil die Stellung.
Wir Vier waren mein Bruder Lord Schweinenase, der immer ein paar Futterreste am Riechkolben kleben hatte, die völlig überdrehte Mini-Mietze, die vor nichts und niemandem Angst hatte, dem Bengalen, der vor allem Angst hatte und natürlich mir, Manni, dem besten Ermittler in der Katzenwelt.
Wir hatten es uns auf dem großzügig bemessenen Bett gemütlich gemacht und genossen einfach die Ruhe nach der langen und holprigen Fahrt. Wir hatten uns vorgenommen, und nicht mehr großartig vom Fleck zu bewegen, nur noch auf das Befüllen der Futterschüsseln zu warten. Doch kurz nach Einbruch der Dämmerung sah ich immer wieder Schatten am Fenster vorbei huschen.
Zu Anfang schenkte ich ihnen keine Aufmerksam. Aber der Umstand, dass sie immer häufiger durch mein Blickfeld huschten und ich immer wieder flüsternde Stimmen hörte, ließ mich dann doch aufhorchen.
Ich mühte mich von meinem Platz hoch, musste dabei das eine oder andere Bein meiner Mitmietzen zur Seite schieben und warf einen Blick nach draußen. Was ich dort sah, ließ mir das Blut in der Adern gefrieren. Von Außerhalb der Stadt strömte eine riesige Horde Waschbären herbei. Wir hatten es mit einer regelrechten Invasion zu tun, die nichts Gutes bedeuten konnte.
Ich unterrichtete sofort die Anderen, dass sie eine Diebesbande über die die Stadt hermachen wollte. Wir mussten irgendwie zur Tat schreiten, doch ich wusste einfach nicht wie. Zu Viert gegen eine unzählbare Masse klang so verrückt, dass wir es einfach versuchen mussten.
Die Mini-Mietze wetzte bereits ihre Krallen. Hätte ich sie raus gelassen, sie hätte sich ohne nachzudenken sofort ins Getümmel gestürzt, um einen Waschbären nach dem anderen aufzuhalten und zur Strecke zu bringen. Dass sie so etwas nicht überstehen würde, war mit allerdings schmerzhaft bewusst. Ich musste sie vor sich selbst beschützen. Wir brauchten also eine andere Idee.
Gemeinsam überlegten wir, wogen bei jedem neuen Einfall das Für und Wider ab und dachten uns dann etwas anderes aus. Es schien einfach unmöglich, so viele Verbrecher auf einmal aufzuhalten. Dass wir am Ende doch noch eine funktionierende Idee fanden, war dem Bengalen zu verdanken. Normalerweise verkroch er sich beim kleinsten Anzeichen einer Gefahr in der dunkelsten Ecke. Doch im Innern einen fest verschlossenen Wohnmobils inmitten seiner Freunde fühlte er sich offensichtlich sicher genug, um kreativ nachdenken zu können.
Er holte ein Blatt Papier aus dem Schrank, faltete es mehrmals und zerschnitt es mit seinen kräftigen Krallen, die es locker mit denen von Shadow Cat aufnehmen konnten, wie mir in diesem Moment auffiel.
Was genau der Bengale dort tat, konnte ich nicht erahnen. Ich war auch der Meinung, dass es nicht die Zeit für Origami war, hielt mich mit Kritik aber zurück und wartete ungeduldig ab.
Nachdem er fertig war, entfaltete er das Blatt wieder und präsentierte uns eine Papierkette, die aus einer Wolfsgruppe bestand. Er hängte sie quer vor die Frontscheibe. Toll. Eine Partygirlande. Das war es, was wir jetzt brauchten. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Ich war von Verrückten umgeben, die den Ernst der Lage nicht erkannt hatten.
Ich wollte mich bereits an der Ausarbeitung einer neuen Idee machen, doch der Bengale hielt mich zurück. Er drückte uns stattdessen Taschenlampen in die Pfoten und forderte uns auf, die Kette zu beleuchten.
Wir schalteten das Licht an, suchten uns die richtige Entfernung und sahen dann in der Ferne die Schatten eines großen Wolfsrudels auf der Fassade des Rathauses. Die dunkle Silhouette sah bedrohlich aus. Das mussten wohl auch die Waschbären gedacht haben, denn sie hielten plötzlich inne, wussten zunächst nicht, wie sie reagieren sollten und berieten sich kurz. Offenbar waren sie so beeindruckt, dass sie sich nach wenigen Sekunden duckten, in die Schatten verkrochen und den Rückzug antraten. Sie verschwanden so schnell aus der Stadt, wie sie gekommen waren, ohne auch nur den kleinsten Schaden angerichtet oder etwas gestohlen zu haben.
Kurz darauf kamen der Mann und die Frau zu uns zurück.
»Na, war alles ruhig in der Zwischenzeit oder ist etwas Aufregendes passiert, das wir verpasst haben?«
Ich schüttelte nur den Kopf, gähnte übertrieben laut und ließ mich müde auf das Bett fallen. Ich versicherte ihnen, dass es ein Abend voller Langeweile gewesen war.

(c) 2021, Marco Wittler


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