1113. Wir zerschlugen die Krallen-Gang (Mann und Manni 52)

Wir zerschlugen die Krallen-Gang

Amerika ist so groß, so weit, beinahe unendlich riesig. Wir waren mit unserem Wohnmobil nun schon eine ganze Weile unterwegs, ohne auch nur in die Nähe eines anderen Landes zu kommen. Ein Blick auf eine neue Küste oder eine Grenze? Fehlanzeige. So langsam beschlich mich das Gefühl, dass wir nicht in gerader Linie unterwegs waren, sondern kreuz und quer, vor uns zurück, manchmal vielleicht sogar im Kreis fuhren. Beweisen konnte ich das allerdings nicht. Ich hatte leider nie gelernt, eine Straßenkarte zu lesen.
Die Fahrt hatte uns irgendwann bei Einbruch der Nacht hinaus in die Einsamkeit der Wüste geführt. Weit hinten am Horizont sahen wir zwar schon den Lichterschein einer großen Stadt, waren aber dennoch zu weit entfernt, um sie noch zu erreichen. Der Mann, der als einziger einen Führerschein besaß, war müde geworden und konnte seine Augen kaum noch offen halten.
Wir hielten am Straßenrand und bereiteten uns für die Nacht vor. Der Mann und die Frau verzogen sich, nachdem sie unsere Futternäpfe aufgefüllt hatten, in das große Bett, zogen sich die riesige Decke bis zu den Nasen und schliefen ziemlich schnell ein. Wir vier Mietzen zogen es vor, ein fürstliches Festmahl zu feiern. Das sah in der Regel so aus, dass unsere vier Schüsseln gut gefüllt wurden, drei von uns ein wenig zu sich nahmen und ich den Rest verschlang. Ich konnte es grundsätzlich nicht über mein Herz bringen, dass Futter schlecht wurde. Ich handelte also nur im Sinne aller.
Gut gestärkt für die Nacht verzogen dann auch wir uns in unsere Schlafhöhlen, um uns auf das kommende Frühstück vorzubereiten und schliefen ebenfalls zügig ein.
Irgendwann, ich wusste nicht, wie spät es war, riss mich etwas aus meinen Träumen. Ich musste überlegen, was der Grund dafür war. Zuerst dachte ich an den großen Hunger, unter dem ich chronisch litt. War es Durst oder rief das Katzenklo nach mir, dass mal wieder von mir eingestunken werden wollte? Nein. Es war nichts davon, da war ich mir nach ein, zwei Minuten sicher. Aber was war es dann gewesen?
Plötzlich hörte ich ein Geräusch, dessen Ursprung auf der anderen Seite der Tür kam. Es begann ganz leise, klang erst nach einem vorsichtigen Kratzen und steigerte sich schließlich in ein lautes Kreischen.
Während es mir eiskalt den Rücken hinab lief, wurden auch meine Mitbewohner wach. Lord Schweinenase kam zu mir, wollte wissen, was da vor sich ging. Die Mini-Mietze fuhr sofort ihre Krallen aus und war bereit, uns zu verteidigen. Auch der Mann kam zu mir. Ihm war die Sache nicht geheuer und er hatte vor, der Sache auf den Grund zu gehen.
»Komm mit, Kumpel. Wir sorgen da draußen für Ruhe. Ich brauche meinen Schlaf.«
Er schnappte sich einen Baseballschläger, den er unterwegs in einem Souvenirladen gekauft hatte und hielt ihn bedrohlich hoch.
Zu zweit schlichen wir durch das Wohnmobil. Der Mann legte seine Hand an die Tür, drehte den Verschluss und drückte sie auf. Wild brüllend sprang er raus und ließ den Schläger um sich kreisen. Diesen Moment der Überraschung nutzte ich, um mich unauffällig umzusehen.
Leider war der Überraschungsmoment nicht auf unserer Seite, denn wir waren es, die in diesem Augenblick von unserem Gegner überrumpelt wurden.
Ein Rudel wilder Katzen überrannte uns und verpasste dabei meinem Fell und der Haut des Mannes einige empfindliche Kratzer. Sie sprangen in das Wohnmobil, überrumpelten dabei selbst die Mini-Mietze und räumten innerhalb weniger Sekunden unseren Kühlschrank leer und stahlen auch noch das Katzenfutter. So schnell wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch schon wieder in der Dunkelheit der Wüste.
Lädiert zogen wir uns in unser fahrbares Heim zurück und kümmerten uns um unsere Wunden. Der Mann bekam ein Pflaster auf den Daumen und ich wurde zumindest kurz von der Frau gestreichelt. Leckerlis hätte ich vorgezogen, die waren gut für die Seele, doch der letzte Vorrat war nun irgendwo dort draußen.
Mein Bruder Lord Schweinenase begann zu zittern. Ihm wurde gerade bewusst, dass seine Lieblingsleckerlis auf immer und ewig fort waren. Wir hatten sie extra aus Deutschland mitgebracht, weil er nur diese mochte. Das amerikanische Zeug wollte er auf keinen Fall auch nur beschnuppern.
Ich blickte ihm in die gebrochenen Augen, spürte förmlich seinen Schmerz und bekam Mitleid. Ich legte ihm meine Pfote auf die Schulter und versprach, jedes einzelne Leckerli zu ihm zurück zu bringen, egal was es mich kosten sollte.
Ich ging zurück zur Tür, forderte den Mann auf, mich zu begleiten. Die Mini-Mietze wollte uns begleiten, diese Krallen-Gang aufmischen und zur Strecke bringen, aber ich lehnte ab. Das mussten wir allein für meinen Bruder erledigen.
Da standen wir nun. Wir wussten nicht, in welche Richtung wie suchen sollten. Der Überfall war so schnell abgelaufen, dass wir uns an keine Einzelheiten erinnern konnten. Also standen wir einfach nur da und lauschten in die Stille der Nacht hinein.
Nach einer gefühlten Stunde, hatte ich das Gefühl, ein leises, weit entferntes Miauen gehört zu haben. Das mussten sie sein. Ich hatte keinen Zweifel. Mein Gesicht bekam eine düstere Miene. Ich wollte diese Bande fertig machen.
Ich griff an die Schlafhose des Mannes, fuhr mit meinen Krallen an ihr entlang und band mir den Fetzen um den Kopf. Ich war bereit.
Wir marschierten los, kamen dem geheimen Lager immer näher. In ein paar Metern Entfernung machten wir halt, versteckten uns hinter einem alten, vertrockneten Busch und sondierten die Lage. In einem überschaulichen Lager waren etwa zwanzig oder dreißig Katzen zu sehen, die im Kreis um ihre Beute lagen. Unbemerkt an ihnen vorbei führte kein Weg. Wir brauchten also eine List.
Ich ließ mir vom Mann eine Taschenlampe geben, bastelte mir aus einem weiteren Rest seiner Hose eine Wolfssilhouette. Was gegen eine Horde Waschbären geholfen hatte, sollte auch gegen eine Krallen-Gang helfen.
Ich ließ den Wolfsschatten los. Doch statt unseren Gegnern Angst und Schrecken einzujagen, lachten sie.
»Da will uns wohl jemand auf den Arm nehmen.«, hörte ich eine Stimme von der anderen Seite des Buschs. »Mein Bruder hat gehört, dass vor ein paar Tagen mit so einem billigen Trick Waschbären aus einer Stadt vertrieben wurden.«
Verdammt! Sie wussten davon. Was sollten wir nur machen?
Der Mann nahm mir die Taschenlampe ab und steckte sie wieder ein. »Lass mich das mal machen, Dicker. Deine Idee war gut, aber sie sollte anders umgesetzt werden.«
Er holte sein Handy hervor und eine kleine Lautsprecher Box. Ich sah ihn verwirrt an. Warum hatte er Letztere mitten in der Wüste dabei, noch dazu in der Tasche seiner Schlafanzughose? Er zuckte nur mit den Schultern. »Kann man immer mal gebrauchen.«
Er stellte zwischen beiden Geräten die Verbindung her und suchte nach einem passenden Geräusch. Kurz darauf ertönte das laute Geheul eines Kojoten, der ziemlich hungrig klang.
Hätte ich nicht gewusst, dass dieser Räuber im Handy steckte, ich hätte sofort die Flucht ergriffen. Der Mann und ich blieben aber vor Ort und sahen vergnügt dabei zu, wie die Krallen-Gang in alle Richtungen davon stürmte. Die Leckerlis hatten sie in der Eile liegen lassen.
Schnell packten wir alles zusammen und schleppten es zum Wohnmobil zurück. Ich war mir sicher, dass die Diebe nicht lange auf unseren Trick herein fallen würden.
Wir verbarrikadierten uns in unserem fahrbaren Heim und konnten Lord Schweinenase seine Lieblingsknuspertaschen zurückgeben. Um einem weiteren Überfall zu entgehen, setzte sich der Mann noch in dieser Nacht hinter das Steuer und fuhr mit uns ein Stück weiter.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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