1122. Das kleine Blatt

Das kleine Blatt

Es war Herbst geworden. Die Tage wurden nun langsam immer kürzer, während die Nächte deutlich länger wurden. Die Temperaturen hatten sich abgekühlt und der nahe Wald war ebenfalls von großen Veränderungen betroffen. Die vielen Blätter an den Ästen färbten sich in alle Gelb- und Brauntöne, die man sich vorstellen konnte. Es war einfach nur wunderschön.
Zu dieser Zeit hing an einem besonders hohen Baum ein Blatt, dass mittlerweile sein grünes Kleid gegen ein satt gelbes eingetauscht hatte und im Licht der Sonne herrlich leuchtete. Von hier oben hatte es eine unglaubliche Aussicht und konnte bis zum Horizont schauen.
Doch plötzlich geschah etwas, womit das Blatt nicht gerechnet hatte. Die Verbindung zu seinem Ast löste sich von einem Augenblick zum anderen. Das Blatt verlor seinen Halt und fiel langsam segelnd zu Boden.
»Hilfe!«, rief es. »Was passiert denn hier? Wer hat mich von meinem Ast gerissen?«
Es bekam keine Antwort und fiel stattdessen immer weiter, bis es den Boden erreicht hatte. Das Blatt sah sich um und war von seinem neuen Lebensraum sofort enttäuscht. »Puh! Ist das langweilig hier unten. Ich bin ganz allein und sehen kann ich von hier auch nichts mehr. Ich will zurück an meinen Platz.«
Doch dann setzte sich der große -stein, auf den es gefallen war, in Bewegung.
»Hey? Was ist denn jetzt los? Seit wann können Steine laufen?«
Aus dem Stein kam ein Kopf hervor und sah nach oben. »Das liegt daran, dass ich kein Stein bin, sondern eine Schildkröte. Und weil es dir hier zu langweilig ist, wandern wir einfach ein wenig durch die Gegend. Du kannst dir dann mal die Welt von unten aus meiner Perspektive anschauen.«
Das Blatt war begeistert. Jetzt hatte es die Chance noch viel mehr von der Welt zu sehen. Es hoffte sogar darauf, einen Blick hinter den Horizont werfen zu können.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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