121. Die perfekte Oma

Die perfekte Oma

Es war Montag Morgen und alle Kinder stürmten in den Kindergarten. Unglaublich, was es alles zu erzählen gab. Jeder hatte noch etwas aus den Ferien zu berichten. Allerdings wollte ein Kind das andere überbieten. Nils war der erste von ihnen.
»Ich habe bei meiner Oma Urlaub gemacht. Das ist die beste Oma, der ganzen Welt.«, schwärmte er den anderen vor.
»Sie wohnt hoch oben im Norden an der Nordsee. Jeden Tag sind wir zusammen mit den Fahrrädern auf dem Deich herum gefahren. Das hat riesig Spaß gemacht.«
Lina schüttelte den Kopf und lachte. »Das soll die beste Oma von allen sein? Meine ist da noch viel besser. Wir haben drei Wochen lang eine Fahrt durch das ganze Land gemacht. Jeden Morgen saßen wir vorn in ihrem Wohnmobil und sind zu einem neuen Campingplatz gefahren. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was wir alles gesehen haben. Ein paar langweilige Deiche und das Meer waren natürlich auch dabei, aber auch viele Museen, Windmühlen und vieles mehr.«
Frederick winkte ganz aufgeregt mit der Hand, traute sich aber nicht, die anderen zu unterbrechen.
»Was willst du denn?«, fragte Lina genervt.
»Ich glaube, dass ich dieses Jahr den besten Urlaub von allen hatte. Ich war auch bei meiner Oma zu Besuch. Sie fährt ein richtig großes Auto mit einem Dach, das man aufmachen kann.«
»Das ist ein Cabrio.«, unterbrach ihn Nils. Frederick lies sich davon allerdings nicht unterbrechen.
»Wir fuhren damit jeden Tag ganz schnell über die Autobahn und haben uns den Wind um die Nasen wehen lassen. Am Ende jeder Fahrt gab es dann ein dickes Eis vom Italiener.«
Jetzt wurde es langsam schwer. Manche Kinder wurden leiser, andere zogen sich in Spielecken zurück. Konnte da denn niemand mehr mithalten?
Doch, Sarah meldete sich. Sie grinste bereits über das ganze Gesicht.
»Ihr habt doch alle keine Ahnung, was eine wirklich tolle Oma ist. Denn nur meine ist die richtig echte und beste Oma der Welt. Sie ist so klasse, dass ich nicht allein dort war. Alle meine Cousinen und Cousins waren mit gekommen und wir haben jeden Tag eine große Essensschlacht gemacht. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie lustig es war. Abends schliefen wir alle zusammen in einem großen Zimmer auf dem Dachboden und haben waren erst ganz spät in der Nacht müde.«
Emily gähnte übertrieben laut, als sie das alles hörte. Die vielen Erzählungen schienen sie nicht beeindrucken zu können. Schließlich stellte sie sich in die Mitte des Kreises und berichtete selber, was sie in den Ferien erlebt hatte.
»Meine Oma wohnt an einem großen See, der ihr allein gehört. Dort darf auch niemand anderes Urlaub machen, als wir. Wenn sich jemand anderes dort hin verirrt, verjagen wir ihn sofort wieder. Jeden Tag habe ich dort am Ufer auf der Wiese gelegen und mich in der Sonne gebräunt, ohne von jemandem gestört zu werden. Und wenn Oma mit den Hausarbeiten fertig war, holte sie ihr Boot aus dem Schuppen und wir drehten gemeinsam ein paar Runden über das Wasser, dass die Wellen nur so spritzten. Noch mehr Spaß geht gar nicht. Eure Omas können es mit meiner auf keinen Fall aufnehmen. Da habt ihr keine Chance.«
Zufrieden verschränkte sie die Arme vor der Brust und trat wieder einige Schritte zurück.
Mittlerweile waren sogar ein paar der Kindergartentanten auf die immer größer werdende Gruppe Kinder aufmerksam geworden und beobachteten das Geschehen durch eine Tür hindurch.
Thilo trat nun vor. Er setzte seine rote Sonnenbrille auf, verschränkte bereits zu Anfang seine Arme und begann zu erzählen.
»Hey, ihr habt doch alle keine Ahnung. Es gibt nur eine Oma, die so cool ist, dass man mit ihr unendlich viel Spaß haben kann. Meine Oma ist die Allerbeste, da kommen eure überhaupt nicht hinterher. Sie hat keine weißen Haare und läuft auch nicht am Stock. Dafür trägt sie eine Lederjacke und hat mich jeden Tag auf ihrem Motorrad durch die Stadt gefahren. Und wenn wir dann am Abend zu Hause waren, gingen wir in den Keller und haben gemeinsam gerappt. Also cooler geht es auf keinen Fall. Damit habe ich dann wohl gewonnen.«
Thilo trat zurück, steckte seine Sonnenbrille zurück in die Hosentasche und hielt seine Arme nun hinter dem Rücken. Er war gespannt, ob es nun noch jemand wagen würde, ihn zu überbieten.
Allerdings hatte er nicht mit René gerechnet, der nun zwei Schritte nach vorn machte.
»Als ich zu Beginn der Ferien zu meiner Oma fuhr, hatte sie im Garten eine richtige Rakete stehen. Sie erzählte mir, dass man damit bis zum Mond fliegen könnte und auch wieder zurück. Einen Abend, als der Mond…«
Plötzlich war Andrea da. Sie war die Chefin im Kindergarten. Sie stellte sich zu den Kindern und lauschte angestrengt der Erzählung, während sie René genau ansah.
»Erzählst du denn da auch wirklich die Wahrheit?«, fragte sich zwischendurch.
René wurde rot im Gesicht und unterbrach seine Geschichte. Dann überlegte er einen Moment, bevor er weiter sprach.
»In Ordnung. Das mit der Rakete habe ich mir ausgedacht. Aber trotzdem mag ich meine Oma wirklich sehr und habe viel Spaß mit ihr gehabt. Sie hat nämlich den größten Sandkasten in unserer Familie.«
Etwas beschämt stellte er sich wieder zu den anderen Kindern.
Nun traute sich niemand mehr vor, um etwas zu berichten. Thilo freute sich schon, endlich einmal etwas ganz Besonderes erzählt zu haben. Doch dann war er so verwundert wie alle anderen Kinder.
»Jetzt bin ich aber an der Reihe.«, sagte Andrea.
Sie ging in den Kreis, setzte sich auf den Boden und nahm sich Maria auf den Schoß.
»Wisst ihr, meine Oma ist auch etwas ganz Besonderes. Als ich so alt war wie ihr jetzt, bin ich auch die ganzen Ferien bei ihr gewesen. Wir haben vielleicht nicht so viele aufregende Dinge unternommen wie mit euren Omas. Dafür habe ich ihr aber immer und überall helfen dürfen. Wir haben zusammen leckere Kuchen gebacken und für den Mittag das tollste Essen zusammen gekocht. Wenn wir herum getollt haben, hat sie immer so lange meinen Bauch gekitzelt, bis ich vor Lachen nicht mehr konnte. Außerdem kannte sie die besten Witze der ganzen Gegend. Manchmal sind sogar die Nachbarskinder vorbei gekommen, nur um ihr zuhören zu können. Aber das Schönste an meinen Urlauben bei ihr, waren die Abende. Wir saßen immer lange auf der Terasse, sahen erst der Sonne zu, wie sie unterging und später den Glühwürmchen bei ihrem Lichtertanz zu. Und wenn sie mich dann ins Bett brachte, kuschelten wir uns aneinander. Jeden Tag erzählte sie mir eine neue Geschichte. Egal wie oft ich auch bei ihr war, ich hatte nie eine Geschichte zweimal gehört.«
Die Kinder hatten große Augen bekommen und waren nun still geworden. Manchen stand vor Staunen sogar der Mund weit auf.
Thilo war der erste, der wieder ein paar Worte fand.
»Weißt du was? Deine Oma ist wirklich die größte von allen. Sie ist eine richtig coole Oma.«
Darin waren sich nun alle einig. Wer so viele Geschichten kannte, war einfach unschlagbar.
Während die Kinder nun nach und nach in ihre Gruppenräume verschwanden, blieb Thilo noch kurz zurück. Eine Frage brannte ihm noch auf der Seele.
»Andrea, kannst du uns vielleicht ab und zu eine von den Geschichten deiner Oma erzählen? Aber erzähl den anderen nicht, dass ich dich das gefragt habe, sonst denken die, dass ich nicht mehr so cool bin.«
Er zwinkerte kurz und verschwand dann auch hinter einer der vielen bunten Türen.

(c) 2008, Marco Wittler

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