1214. Die nervigen Touristen

Die nervigen Touristen

Es war eine anstrengende Nacht gewesen. Ein kräftiger Sturm war vom Meer über die Küste bis ins Hinterland gefegt. Während die meisten Bewohner des nahen Dorfes das Unwetter verschlafen hatten, war der Wärter des Leuchtturms nicht eine einzige Minute im Bett gewesen. Die Wellen hatten so kräftig gegen die Glasscheiben gedrückt, dass die Gefahr bestanden hatte, sie und damit auch das Licht, zu zerstören. Doch dieses Mal war alles gut ausgegangen.
Mittlerweile war der Sturm weiter gezogen und der Himmel zeigte sich in einem unschuldigen Blau. Der Leuchtturmwärter, legte seinen Regenmantel ab, den er zur Sicherheit getragen hatte und machte sich auf den Weg nach unten zum Ausgang. Er öffnete die schwere Eisentür und trat hinaus ins Freie. Dort streckte er sich und gähnte laut. Er holte tief Luft und atmete den frischen, salzigen Duft ein, den er so liebte.
»Jetzt kann ich endlich schlafen. Ich freue mich schon richtig auf ein langes, tiefes Schläfchen in meiner roten Hängematte.«
Genau diese holte er aus dem Leuchtturm, befestigte sie an zwei Metallstangen und wollte sich gerade hinein legen, als sich ein großer, zweistöckiger Bus näherte. Eine unangekündigte Reisegruppe entstieg und strömte auf den Deich zu.
»Verdammte Touristen.«, schimpfte der Leuchtturmwärter. »Jetzt kann ich meinen Schlaf vergessen. Die werde ich den ganzen Tag nicht mehr los. Ich habe keine Lust, im Turm zu schlafen.«
Er überlegte, wie er doch noch in seine hoch verdienten Träume abtauchen konnte und grinste. Schnell lief er in den Leuchtturm und zog sich um. Zurück kam er in einem roten Pullover, einer roten Hose und einer roten Mütze auf dem Kopf, die er sich ganz tief ins Gesicht zog. Dann schob er das Metallgestell näher an den Turm und legte sich in die Hängematte. Mit seiner perfekten Tarnung war er nun nicht mehr zu erkennen.
Während die Touristen schnell das Interesse am Turm verloren, weil nicht da war, der sie hinein lassen konnte, verteilten sie sich über den Deich und fotografierten den Leuchtturm lieber aus der Ferne.

(c) 2022, Marco Wittler


Image by kirillslov from Pixabay

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