1253. Der erste Frühlingstag

Der erste Frühlingstag

Nach dem langen, kalten und dunklen Winter wawr endlich wieder die Sonne hinter den Wolken zum Vorschein gekommen. Die meisten Menschen wussten wohl schon gar nicht mehr, wie sie ausgesehen hatte. Doch nun hing da ganz unverhofft ein heller, runter Feuerball am blauen Himmel und schickte seine warmen Strahlen zur Erde herab und lockte so manch Bewohner aus seinem Haus. Dazu gehörte auch Lilli.
Lilli hatte den Winter so satt. Die letzten Monate hatte sie Tag für Tag Zuhause verbracht und sich kaum vor die Tür gewagt. Kälte, Schnee, Regen, Glätte. Das mochte sie überhaupt nicht. Ihre Jahreszeit waren der Frühling und der Sommer, wenn die Natur in allen vorstellbaren Farben erstrahlte und es warm genug war, um die dicke Jacke im Schrank zu lassen.

Das es, trotz der Sonne, noch immer etwas kühl war, zog sich Lille den neuen Pullover an, den sie in den letzten Wochen aus ihrem Lieblingsstoff genäht hatte. Endlich konnte sie ihn ausführen und der Welt präsentieren. Es war gespickt mit dutzenden kleinen Papierbötchen. Sie setzte sich noch eine schicke Mütze auf den Kopf und verließ dann das Haus.
Scheinbar war die ganze Welt auf den Beinen. Die Straßen der Stadt waren voll. Man konnte sich kaum vorwärts bewegen, ohne gegen jemanden zu stoßen. Auch die Wege im Park, im Wald und am Fluss waren überfüllt. So machte der Ausflug keinen rechten Spaß.
Lilli war schnell frustriert. Sie wollte hier weg. Nach Hause zog es sie nicht. Auf keinen Fall wollte sie sich wieder verkriechen, aber bei den vielen Menschen hielt sie es auch nicht aus. Das hatte nichts mit Entspannung zu tun. Sie musste sich etwas einfallen lassen.
Lilli sah sich um. Dabei fiel ihr Blick in ein Schaufenster, in dem sie sich spiegelte. Sofort entstand eine Idee in ihrem Kopf, die sie zum Lächeln brachte. »Ich brauche ein Boot.«
Schnell lief sie nach Hause zurück, umkurvte dabei dir ihr entgegen Kommenden im Slalom. Sie wusste, dass irgendwo im Keller noch ein großer Bogen rotes Papier liegen musste. Diesen fand sie dann auch sehr schnell.
Mühselig schleppte sie das Papier nach oben und begann, es in der Hauseinfahrt immer wieder zu falten. Mehrere Passanten warfen ihr dabei abschätzige Blicke zu. Was sollte das nur wieder werden? Doch dann stand ein großes, rotes Papierboot vor dem Haus.
»Fertig!« Lilli sprang laut jubelnd einmal um ihr Werk herum, was die Menschen in ihrer Nähe auf Abstand gehen ließ. Doch das war jetzt völlig egal, denn Lilli würde sie schon bald weit hinter sich lassen. Sie schob das Boot quer durch die Massen hindurch, versperrte ihnen immer wieder den Weg und ließ es ins Wasser des Flusses gleiten. Schnell sprang sie hinterher und machte es sich gemütlich.
Mit offenen Mündern sahen ihr nun die Spaziergänger hinterher. Die Fahrt auf dem Wasser sah so gemütlich, ruhig und entspannend aus, dass sie neidisch wurden. Lilli störte das nicht. Sie lehnte sich zurück, ließ die Arme an Backbord und Steuerbord über die Reling baumeln und schloss die Augen. So war es doch noch ein wundervoller und entspannter Frühlingstag geworden.

(c) 2022, Marco Wittler

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