1309. Flaschenpostbote Knut geht auf Reisen

Flaschenpostbote Knut geht auf Reisen

Flaschenpostbote Knut hatte einen anstrengenden, aber auch einen sehr schönen Tag. Der alte Meermann, der tagtäglich die Flaschenpost in der Stadt unter dem Meer verteilte, beteiligte sich an einer Aktion, die die neue Bürgermeisterin ins Leben gerufen hatte. Es fand der erste Meerkindertag statt, an dem der Nachwuchs in alle Meerberufe hineinschnuppern durften. Flaschenpostbote stand natürlich ganz oben auf der Wunschliste. Also hatte Knut heute zehn junge Kollegen an seiner Seite.
»Wir werden nicht nur durch die Straßen der Stadt schwimmen.«, erklärte Knut. »Wenn wir hier fertig sind, werden einsame Gegenden besuchen, in denen nur wenige Meermenschen leben. Dazu gehören der Tiefseegraben, das Korallenriff, die Seegraswiesen und natürlich die Küste, an der unser Ozean endet.«
Die Kinder waren sofort aufgeregt, hatten sie die Stadt doch noch nie verlassen. Sie löcherten Knut immer wieder mit neugierigen Fragen und wollten alles von ihm wissen.
Irgendwann kam dann der Höhepunkt. Die Gruppe kam zur Küste. Dort tauchten sie zum ersten Mal aus dem Wasser auf und sahen sich in der trockenen Welt um. Am Ufer sahen die Kinder Dinge, die sie aus dem Meer nicht kannten. Dort waren Bäume, Sträucher und in der Ferne hohe Berge.
»Ich habe gehört, dass die Menschen, die sich hier auf zwei Beinen bewegen, unsere Heimat so schön finden, dass sie sie stundenlang von oben betrachten und Geschichten über sie schreiben.«
Jetzt waren die Meerkinder noch neugieriger, als sie es eh schon waren. Das wollten sie mit eigenen Augen sehen und krochen mühselig an Land.
»Knut, das schaffen wir nicht. Mit der Flosse kommen wir nicht weiter. Wir brauchen Beine.«
Knut lachte. »Beine? Nein. Wir sind Meermenschen. Wir brauchen keine Beine.« Er blickte auf seine Uhr und nickte. Es war Zeit. Sekunden später bog ein großes Fahrzeug um um die Ecke und hielt nur wenige Meter am Strand.
»Hereinspaziert!« Eine Frau sah aus dem Fenster und winkte. »Der Knut hat mich gebeten, euch in die Berge zu bringen, um die Aussicht auf das Meer genießen zu können.« Sie zeigte auf ihr Fahrzeug. »Ich habe extra mein Wohnmobil für euch umgebaut und die Sitze gegen ein Wasserbecken getauscht. Jetzt können wir die Fahrt machen, ohne dass eure Schuppen austrocknen.«
Großer Jubel. Der Flaschenpostbote half den Kindern, die wenigen Meter zur Straße zu überwinden und in das Wohnmobil zu klettern. Dann ging die wilde Fahrt über eine kurvige Strecke in die Berge hinauf. Erst auf einem Parkplatz kurz unter dem Gipfel hielten sie an und blickten auf das Meer hinab.
»Wow!« Den Meerkindern standen die Münder auf. Die Aussicht war grandios, die Farben von Meer, Himmel und dem umliegenden Land überwältigend. Dieser Meerkindertag war das größte Erlebnis ihres Lebens.
»Danke, Ruth.«, sagte Knut, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. »Du bist die beste und netteste Mitfahrgelegenheit, die ich kenne.«
Ruth grinste. »Mache ich doch gerne. Wenn mir das bloß jemand glauben würde. Aber die meisten Menschen glauben nicht mal, dass es euch überhaupt gibt.«
Knut tippte sich mehrfach mit dem Zeigefinger gegen die Flosse. »Also ich fühle mich verdammt echt an.«. Er begann ebenfalls zu lachen.

(c) 2022, Marco Wittler

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