1323. Flaschenpostbote Knut schäumt vor Wut

Flaschenpostbote Knut schäumt vor Wut

Flaschenpostbote Knut stand im Büro des Flaschenpostamts und bereitete sich auf seine Tour vor. Heute sollte es durch das Zentrum der Stadt unter dem Meer gehen. Er stellte sich vor den großen Wandspiegel, zog die Uniform glatt, setzte sie Mütze auf seinen Kopf und strich sich über den dicken Schnurrbart. Zum Schluss hängte er sich noch die große Ledertasche um, in denen er die Flaschenpost verstaut hatte. Schon wollte er sich auf den Weg machen, als ihn jemand aufhielt.
»Hallo!«, rief eine besonders tiefe Stimme, die einem großen Meeresgott alle Ehre gemacht hätte. »Hallo!«
Knut patschte sich gegen die Stirn. »Mist. Jetzt hätte ich dich fast vergessen.« Er schwamm zurück zum Schreibtisch, griff nach dem kleinen Seestern, der dort lag und setzte ihn sich auf seine Brust. Damit war er jederzeit als offizieller Flaschenpostbote zu erkennen.
»Hallo!«, brummte der Seestern.
»Tut mir leid, Enno.«, entschuldigte sich Knut. »Kommt nicht wieder vor.« Der Flaschenpostbote schwamm durch die Haustür in den Vorgarten, wo sein Kollege bereits wartete. »Komm schon, Enno. Wir sind spät dran.«
Krake Enno nickte, packte mit jedem seiner Tentakelarme eine Ledertasche und schwamm hinter Knut her.
Die Drei machten sich auf den Weg ins Zentrum. An fast jedem Haus, das sie passierten, hinterließen sie eine Flaschenpost. Jeden Passanten, der ihnene begegnete, grüßte Enno mit seinem tiefstimmigen »Hallo!«.
Nach einer Weile steuerte Knut einen Felsbrocken am Wegesrand an. Es wurde Zeit für eine Pause. »Jungs, ich muss ausruhen. So langsam tut mir die Flosse weh. Kann aber in ein paar Minuten weitergehen.«
Knut seufzte erleichtert, als einen Blick in seine Tasche warf. Sie war fast leer. Einen zweiten Seufzer machte er, als ihn Fiete an die restlichen acht Taschen erinnerte, die sie noch vor sich hatten. »Ich glaube, ich werde langsam zu alt für diesen Job.«
Er warf einen Blick zurück. Eigentlich hätte ihm dabei bewusst werden sollen, dass sie sich nur wenige hundert Meter vom Flaschenpostamt entfernt befanden, es war allerdings nicht mehr zu sehen. Er war in einem dichten Schaum verschwunden.
»Oh, oh.« Flaschenpostbote Knut bekam ein ungutes Gefühl in der Magengegend. »Das sieht alles andere als gut aus. Was meint ihr?«
Fiete nickte. Enno gab ein besorgtes »Hallo!« von sich.
»Es ist doch noch gar nicht Hochsommer.«, sagte Knut. »So früh im Jahr hätte ich noch nicht mit einer Algenpest gerechnet. Wir müssen hier schnell weg. Ich reagiere allergisch auf dieses Zeug.«
Die Flaschenpostboten machten sich wieder auf den Weg. An Pausen war nun nicht mehr zu denken. Während sie vor den dichten Algen flüchteten mussten sie auch noch ihren Job erledigen.
»Ich verstehe das nicht. Der verdammte Schaum scheint uns zu verfolgen, als wären die Algen intelligenten Lebewesen. Das kann doch gar nicht wahr sein. Wie nehmen sie überhaupt wahr, in welche Richtung wir uns bewegen?«
Knut wurde langsam nervös. Mehrfach bog er mit seinen Kollegen an Kreuzungen ab. Sie schwammen immer wieder Umwege und versteckten sich in Hauseingängen. Trotzdem wurden sie den Schaum nicht los. Es war, als hätte eine Meerhexe ihre Finger mit im Spiel.
»Ich kann nicht mehr.« Knut war verzweifelt. Mittlerweile konnte er seine Flosse vor Schmerzen kaum noch bewegen. »Ihr müsst mich hier zurücklassen. Rettet euch. Ich hoffe, dass ihr ab und zu an mich denkt, wenn ich schon lange nicht mehr unter euch Weile.«
Er pflückte Enno von seiner Brust und wollte ihn gerade dem Kraken anheften, als ihm etwas auffiel.
»Fiete? Was ist das für ein weißes Zeug, dass da aus einer deiner Taschen tropft?« Knut öffnete die Ledertasche, warf einen Blick hinein. »Was soll denn das?« Er holt eine offene Flasche Haarshampoo hervor. »Warum macht man die nicht ordentlich zu, wenn man sie mit der Flaschenpost verschickt?«
Wütend warf Knut die Flasche, die nun schon fast leer war, in den nächsten Mülleimer. »Kommt, Jungs. Wir haben einen Job zu erledigen.«
Sie setzten ihre Runde fort. Der Schaum blieb nun hinter ihnen zurück und löste sich in der Meeresströmung langsam auf.

(c) 2022, Marco Wittler

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