1369. Das Haus des Schreckens

Das Haus des Schreckens

Es war eine dunkle, regnerische Nacht. Dichter Nebel waberte durch die Straßen und schränkte die Sicht auf wenige Meter ein. In lange Regenmäntel gekleidet, war eine fünfköpfige Gruppe unterwegs, um sich gegenseitig zu beweisen, mutig zu sein. Nach ein paar Kilometern kamen hatten sie den Stadtrand erreicht und standen vor einem einsamen, verlassen wirkenden Haus. Die Holzfassade hatte definitiv schon bessere Zeiten gesehen. Die Vertäfelung war an manchen Stellen gebrochen, an anderen blätterte Farbe ab oder hatte Moos angesetzt. Die Fensterläden hingen schief und würden wohl schon bald komplett abreißen. Fenster waren zersprungen und auf der vorderen Veranda wuchsen bereits Büsche und kleine Bäume. Der Garten glich einem Urwald.
»Okay, Leute. Butter bei die Fische. Wer traut sich?«
Jetzt ging es darum, die Mutprobe zu bestehen.
»Die alte Villa nennt man nicht umsonst Haus des Schreckens. Das weiß man nicht nur bei uns, das hat man auch schon in der ganzen Region gehört.«
Sie blickten sich gegenseitig in die Augen, versuchten die Emotionen der anderen einzuschätzen. Trotz Regen und Nebel konnte man ihnen die Aufregung ansehen. War da Abenteuerlust? Angst? Zitterte jemand?
»Wer von euch traut sich hinein? Jetzt gilt es. Feiglinge werden für immer mit der Schande des Kneifens leben müssen.«
Nacheinander nickten sie. Es gab kein Zurück. Sie nahmen nebeneinander Aufstellung. Niemand wollte zuerst, niemand zuletzt das Haus betreten. Langsam setzten sie sich in Bewegung, kamen der Treppe zur Veranda immer näher.
Der erste Fuß berührte das morsche Holz. Augenblicklich begann es um die Mutigen zu knirschen, zu knacken. Das Haus ächzte. Es begann zu vibrieren, die Verkleidung erzitterte, einzelne Dachschindeln stürzten herab.
Schon wollten sich die Abenteuerlustigen umdrehen, weglaufen. Doch da erhob sich das Haus über sie. In zwei Fenstern erschienen riesige Augäpfel, die auf die Menschen hinab starrten. Die Tür wandelte sich zu einem Mund, der laut schrie. »Oh, mein Gott. Das sind Menschen? Wie Schrecklich. Ich hasse Menschen.«
Das Haus drehte sich um und lief panisch davon, bis es im Nebel verschwand.

(c) 2022, Marco Wittler

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