Pauline beherrscht das Chaos
Mama kam ins Kinderzimmer, verdrehte die Augen und seufzte. Das war alles andere als ungewöhnlich, denn das tat sie immer, wenn sie hier über die Türschwelle trat.
»Hier sieht es ja schlimmer aus, als auf einer Müllhalde.«, sagte sie. »Pauline, du solltest echt mal wieder Ordnung schaffen. Irgendwann fangen die Sachen auf deinem Fußboden an zu leben.«
Nun war es an Pauline, zu stöhnen. Aufräumen. Es gab kaum etwas, das sie mehr hasste. Sie überlegte kurz. Doch, da war noch etwas. Sie hasste es ganz besonders, sich schick zu machen und ein Kleid zu tragen. Das war das Allerschlimmste überhaupt. Sie wusste ganz genau, dass ein Leben ohne Latzhose funktionieren, aber völlig sinnlos war.
»Muss das denn sein?«
Mama stemmte die Hände ihre Seiten. »Oh ja. Und wie nötig das ist. So ein Chaos will ich im Haus nicht haben.«
Pauline zeigte von einer Ecke zur nächsten. »Ich finde das aber gar nicht schlimm. Ich weiß ganz genau, wo alles ist. Unter dem Schreibtisch liegt mein Skateboard, die Buntstifte sind unter der Brotdose, die ich vor drei Wochen in Spülmaschine räumen sollte und mein Busticket ist in irgendeiner Tasche meiner Latzhose.« Sie suchte schnell alles ab, konnte das Ticket aber nicht finden. »Ach, so ein Quatsch. Da war es letzte Woche. Heute habe ich es ganz woanders.« Pauline zog ihren langen, roten Flechtzopf nach vorn und zog das Ticket daraus hervor. »Siehst du! Alles an seinem Platz.«
Mama schüttelte den Kopf. »Räum einfach nur auf. Mehr verlange ich doch gar nicht.« Sie wischte mit einem Finger über ein Regalbrett und begann zu husten. »Staub könntest du dann auch gleich wischen.« Sie blickte zum Teppich hinab, der vor dem Bett lag. »Und den klopfen wir dann wohl besser auch mal aus. Da drin lebt bestimmt schon seit einer Ewigkeit ein Dreckmonster.«
Pauline sprang vom Bett auf den Teppich. »Dann werde ich es mutig von hier vertreiben.«
Sie schob ein paar getragene Klamotten zur Seite, rollte den Teppich ein und brachte ihn in den Garten. Dort warf sie ihn über eine Metallstange, die Opa schon vor mindestens fünfhundert Jahren für diesen Zweck aufgestellt hatte.
Pauline schnappte sich einen dicken Ast, der unter dem alten Kirschbaum lag.
»Nichts da!« Mama ging dazwischen. »Damit machst du den Teppich nur kaputt. Ich hole den Teppichklopfer.«
Statt auf Mama zu hören, schob Pauline sie zur Seite. »Lass mich mal machen. Mit meiner Methode geht das viel schneller.« Sie baute sich vor dem Teppich auf. »Verschwinde ganz schnell von hier, sonst bekommst du von mir so richtig einen übergebraten.«
Der Teppich zitterte und zuckte. Staub und Dreck fielen aus ihm heraus und formten sich zu einer schwebenden Wolke. Das Dreckmonster, von dem Mama gesprochen hatte, zeigte sich ganz offen. »Ist ja schon gut. Ich verschwinde. Wenn ich mit einem blauen Auge nach Hause komme, gibt es noch ein zweites von meiner Frau dazu. Die sagt nämlich immer, dass ich die keine Menschen belästigen soll.«
Die Wolke schwebte davon und verschwand schnell im nahen Wald. Pauline grinste Mama an, die mit offenem Mund neben ihr stand, rollte den Teppich wieder ein und brachte ihn zurück ins Haus.
»Ich habe dir gesagt, dass meine Methode schnell und einfach ist.«
(c) 2022, Marco Wittler
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