Dino Jones und das verlorene Grab
Rumpelnd setzte die klapprige Flugmaschine auf dem staubigen Boden auf und blieb vor einem heruntergekommenen Gebäude stehen. Während der leichte Wind unaufhörlich den Wüstensand vor sich hertrieb, öffnete sich eine angerostete Tür. Der weltweit geehrte Archäologe Professor Dino Jones stieg aus. Noch bevor er sich umsah, griff er zum Taschentuch und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.
»Ich vergesse jedes Mal, wie heiß es hier ist. Das ist ja kaum auszuhalten. Warum bin ich nur hierher gekommen?«
»Weil sie an einen ruhigen Ort reisen und sich von der anstrengenden Arbeit entspannen wollten.«
Ach ja. Genau deshalb. Dino Jones drehte sich um und sah seinem Assistenten zu, wie er sich mit drei Koffern die wenigen Stufen zum Boden abmühte. »Buchen sie beim nächsten Mal einfach irgendein langweiliges Dorfhotel in der gemäßigten Zone. Ich habe oft genug in den Wüsten nach Knochen gegraben. Ich muss mich nicht auch noch in meinem viel zu kurzen Urlaub in einer davon aufhalten.«
Schnell hatten sie die Ankunftshalle durchschritten und fanden sich auf der anderen Seite am Rande eines Basars wieder. Auf die Forscher strömte eine Mischung aus exotischen Gewürzen, Stimmen und unterschiedlichsten Sprachen aus aller Welt ein.
»Ruhiger Ort, ja?« Der Professor schüttelte den Kopf. »Gehen wir zum Hotel.«
Es ging kreuz und quer durch die viel zu engen Wege das Basars. An jeder Ecke, an jedem Stand feilschten Dinosaurier um die besten Produkte und günstigsten Preise. Immer wieder stellten sich Händler und Betrüger den Urlaubern in den Weg, um sich um ein paar Münzen zu erleichtern.
»Sie sehen wie ein besonders gebildeter Dinosaurier aus.« Ein Raptor mit schmalen Augen und nicht vertrauenswürdigem Blick kam auf Dino Jones zu. »Ich bin mir sicher, dass ich Euch ein Geschäft vorschlagen kann, dass Ihr nicht ablehnen könnt.« Verschwörerisch sah er sich um. Er schien sich sicher zu sein, dass sich niemand sonst für ihn interessierte. »Die Propheten haben mir eine Karte zukommen lassen, die ein verunglückter Wanderer auf seiner Reise angefertigt hat. Ich selbst habe nicht das Wissen, um sie lesen oder entziffern zu können. Ein Dino von Welt, wie Ihr es seid, sollte damit aber kein Problem haben.«
Der Raptor griff unter seinen Umhang, holte ein altes Pergament hervor und entrollte es. Es zeigte eine Karte und fremdartige Schriftzeichen.
Dino Jones sah nur kurz hin. Er wollte kein zu großes Interesse zeigen. Dabei ging es ihm aber nicht darum, seinen Weg schnell fortzusetzen. Vielmehr hatte er sofort erkannt, worum es sich handelte.
Innerlich seufzte der Professor. Nun würde der geplante Urlaub ganz anders verlaufen.
»Was gedenkt Ihr, von mir für diese Karte, falls sie überhaupt echt ist, zu verlangen?«
Der Raptor zischte leise und kam einen Schritt näher. »Zwanzig Münzen. Der Preis ist auch nicht verhandelbar.«
Der Professor nickte und griff in seine Tasche. Dort fand er aber nichts Passendes. »Ihr müsst wechseln. Diese hier ist fünfzig wert.« Er drückte dem Raptor sein Geld in die Klaue, nahm die Karte und drehte sich zu seinem Assistenten um. »Unsere Pläne haben sich leider geändert, mein Lieber. Wir werden den Urlaub gegen ein Abenteuer eintauschen.«
Dino Jones wandte sich wieder seinem Handelspartner zu. Der Raptor war verschwunden. »Verdammt! Er hat mich um mein Wechselgeld betrogen.«
Ein paar Stunden später standen sie mitten in der Wüste vor einer Gruppe aus mehreren kleinen und großen Pyramiden.
»Ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell wieder hier sein werden.« Professor Dino Jones erinnerte sich noch sehr gut an die Ausgrabungen, die er hier vor ein paar Jahren geleitet hatte.
»Damit hätte ich auch nicht gerechnet.« Sein Assistent schnaufte. Trotz seiner stattlichen Größe, die er als Stegosaurus mit sich brachte, fiel ihm das Laufen mit den vielen Taschen an seinen Rückenplatten schwer. Die Forschungsausrüstung wog sehr schwer.
»Sie werden sich doch nicht beschweren wollen, meiner Lieber.« Der Professor lachte. »Bedenken sie den Ruhm, den wir ernten, wenn wir eine spektakuläre Entdeckung machen.«
Er sah seinen Assistenten mitleidig am. »Ich würde ihnen nur zu gern unter die Arme greifen. Aber aber Tyrannosaurus Rex sind mit buchstäblich die Hände gebunden. Mit diesen kurzen, schwächlichen Armen tauge ich einfach nicht zum Tragen schwerer Taschen. Ich bin halt ein Dinosaurier des Geistes.«
Er warf einen Blick auf die Karte. Die alten, verschmierten Schriften und Zeichnungen machten es nicht einfach, den richtigen Weg zu finden.
»Ich glaube, dort hinten müssen wir graben.« Sie marschierten zwischen den Pyramiden hindurch, weiter in die Wüste hinaus. »Hier! Ja, das müsste es sein.« Dino Jones kratzte mir einer Fußklaue ein Kreuz in den Boden.
Der Stegosaurus legte die Taschen ab, packte eine Schaufel aus und machte sich an die Arbeit. Mit jeder Stunde, die er unter dem wachsamen Auge des Professors grub, kam er tiefer.
Kurz vor Sonnenuntergang brachte plötzlich der Boden auf. Der Assistent stürzte in einen dunklen Hohlraum.
»Was ist passiert? Sind sie in Ordnung?« Dino Jones zögerte nicht lange und sprang in das Loch. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass es seinem Helfer gut ging, sah er sich fasziniert um.
»Die Karte ist tatsächlich echt. Wir sind auf eine bisher unentdeckte Grabkammer eines als Pharaos gestoßen. Das wird mich …« Er hörte ein Räuspern, drehte sich zu seinem Assistenten um und sah dessen genervten Blick. »Das wird uns berühmt machen.«
Ein lautes Geräusch unterbrach seine Gedankengänge. Es klang, als würde jemand einen großen Stein über einen staubigen Boden schieben. Dino Jones fuhr herum und sah sich einem Dinosaurier gegenüber, der in mehrere Meter Leinenstoff gewickelt war. Das konnte nur eine Mumie, ein alter Pharao sein.
»Warum stört Ihr meine Ruhe? Wer hat Euch erlaubt, in meine Kammer einzudringen? Verschwindet hier und das sofort.«
Der Professor griff nach seiner Tasche, holte seine Brille heraus und ließ sie vor Aufregung fallen.
Der Pharao stöhnte genervt auf. Er bückte sich, hob die Brille auf und setzte sie Dino Jones auf die Nase.
»Mein Name ist Tut Rex Amun. Und wenn ihr keinen Ärger mit dem hohen Göttern haben wollt, verlasst ihr meine Ruhestätte auf der Stelle und werdet sie von außen wieder verschließen.«
Dem Professor stockte der Atem. »Tut Rex Amun? Aber wie kann das sein? Eure Grabkammer wurde schon vor Jahren im Tal der Könige gefunden.«
Der alte Pharao seufzte. »Ja, ich weiß. Was meint ihr wohl, warum ich mich hier mitten in der Wüste versteckt habe? Woanders findet man einfach keine Ruhe.« Er trat auf die Forscher zu und schob sie Richtung Ausgang. »Und nicht vergessen: Macht von außen das Loch wieder zu.«
(c) 2022, Marco Wittler
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