Der Mucki-Frosch bekämpft die Rowdys
Mitten in der Nacht zerriss ein lautes Geräusch die Stille, die sonst nur vom leisen Zirpen der Grillen begleitet wurde. Lautes Grunzen und brechende Äste erklangen aus den Tiefen des Waldes. Etwas – Jemand – schien mit großer Geschwindigkeit näher zu kommen.
Könnt ihr nicht mal etwas ruhiger sein?« Ein kleiner Grillenmann hielt den Kopf aus dem Fenster und schimpfte so laut er konnte. »Ich versuche hier gerade meiner Angebeteten ein Lied zu singen.«
Sein Protest wurde nicht gehört. Das Gegenteil war sogar der Fall, denn ein massiger Körper riss im Vorbeilaufen die kleinen Behausung der Grille vom Haus. Ein Fuß trat sie wenige Augenblicke später platt.
»Seid ihr denn verrückt geworden? Ihr seid nicht allein im Wald. Hier leben noch andere Wesen und wollen ihren Frieden bewahren.« Der Grillenmann kroch unversehrt aus den Trümmern und versteckte sich unter einer Baumwurzel.
Die rüpelhafte Gruppe brach aus dem Wald hervor. Im Licht des Mondes wurde eine Gruppe stattlicher Keiler sichtbar, die in schwere Lederjacken gekleidet waren. Auf den Rücken trugen sie das bis über die Grenzen hinweg gefürchtete Logo des Wildschweinschädels mit gekreuzten Schenkelknochen. Sie hielten ihre Nasen in den Wind, um sich zu orientieren.
»Wir müssen dort entlang. Ich schätze, dass wir in drei Minuten am Ziel sein werden.«
Es dauerte nur zwei Minuten, da standen sie schon vor dem großen Maisfeld. Die goldgelben Kolben waren reif und sollten schon bald geerntet werden. Doch wenn erst die Rowdys fertig waren, würde vom Feld nichts mehr übrig sein.
»Wir gehen rein. Fresst so viel ihr nur könnt. Lasst nichts übrig. Wir kennen keine Gnade.«
In diesem Moment ertönte der Alarm. »Achtung! Eindringlinge! Schutzmaßnahmen ergreifen!«
In einer gut getarnten Festung, die sich unter einem großen Seerosenblatt verbarg, klingelte das rote Telefon. Sofort griff eine grüne Hand zum Hörer.
»Was kann ich für sie tun, Mr. President?« Es war kein Geheimnis, wer sich am anderen Ende der Leitung befand. Die Nummer dieses Anschlusses kannte nur der mächtigste Mann der Welt, und er wählte sie nur, wenn die nationale Sicherheit oder die der ganzen Erde in Gefahr war.
»Wir werden angegriffen. Die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung steht auf dem Spiel.«
»Ist in Ordnung. Ich komme sofort.«
Der Angerufene drehte seinen ledernen Ohrensessel herum und warf einen Blick auf die Displays am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Kurz sah der Frosch sein Spiegelbild, bevor eine Karte aufflammte und Koordinaten eingeblendet wurden.
»Ich bin schon auf dem Weg. Sobald ich euch erwische, hat euer Füttchen aber Kirmes. Das verspreche ich euch.«
Kurz ließ der Frosch die Knochen in seinen Händen knacken, bevor er seine geheime Festung verließ und den Fluggleiter bestieg, der auf dem Seerosenblatt schon auf ihn wartete.
Hinter dem Steuer saß ein hochgewachsener, schlanker Storch mit rotem Schnabel im Gesicht und übergroßer Fliegerbrille vor den Augen. »Wo soll es hingehen, Boss? In welchen Einsatz gehen wir heute?«
Der Frosch lachte grimmig und reichte seinem Assistenten einen Zettel mit den Koordinaten. »Der Mucki-Frosch muss einmal mehr die Welt retten, weil Tim Bendzko wieder nicht erreichbar ist. Ich fürchte, der Junge hat noch nicht alle E-Mails gelesen. Die Drecksarbeit bleibt also an uns hängen. Wieder einmal.«
Der Flieger hob ab und schoss mit Überschallgeschwindigkeit durch die Wolken. Kurz darauf später landete er wenige Meter vom Maisfeld entfernt auf einer Wiese. »Das Militär ist bereits mit schweren Geschützen vor Ort. Polizei und Nationalgarde sind ebenfalls zur Unterstützung gekommen. Die Geheimdienste werden wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Chef, es wird Zeit, einzugreifen. Ich fürchte, die Menschen haben die Situation nicht unter Kontrolle.«
Der Storch drückte einen Knopf. Die seitliche Einstiegsluke öffnete sich zischend. Im aufsteigenden Dampf wurde die Silhouette des Frosches sichtbar.
»Ihr habt nach einem Superhelden gerufen, der die Sache möglichst unblutig zu Ende bringt. Ihr braucht jemanden mit echten Muckis, weil andere Helden nicht mehr ausreichen. Also hier bin ich: Der Mucki-Frosch.«
Er stieg aus. Ohne ein weiteres Wort schritt er an den Ordnungskräften vorbei und blieb erst vor der Wildschweinrotte stehen.
»In Ordnung, Leute. Ihr wisst doch, wie das abläuft. Zuerst stürmt ihr das Feld, macht alles kurz und klein und lasst nichts übrig. Ihr wisst aber auch, dass Mr. President etwas dagegen hat, wenn man die Zutaten für seine Popcornmaschine klaut. Das versteht er echt keinen Spaß. Ich werde also eingreifen und euch verkloppen müssen.«
Er sah von einem Rowdy zum nächsten. »Das will doch keiner. Ihr wollt keine Schmerzen und ich will mir nicht die Finger schmutzig machen. Räumt ihr freiwillig den Platz und sucht euch etwas anderes für euer Nachtmahl?«
Die Wildschweine blickten sich unsicher an. An die letzte Begegnung mit dem Mucki-Frosch erinnerten sie sich nur zu gut.
»Wir gehen. Das ist es nicht wert.«
Der Mucki-Frosch nickte zufrieden. Ich werde euch begleitet, damit hier niemand einen Fehler macht und die Situation eskalieren lässt.«
Gemeinsam schritten sie los, die Wildschweine zuerst, der Mucki-Frosch hinterher. Die Soldaten, Polizisten und Gardisten blieben auf Abstand und behielten ihre Nerven, bis die Tiere nicht mehr zu sehen waren.
»Abrücken!« Ein General befahl seinen Leuten, das Feld zu räumen. Ihre Arbeit war getan.
Am Waldrand wurde es wieder ruhig. Nur das leise Surren des Fluggleiters und eine wispernde Stimme waren noch zu hören.
»Ich erkläre es euch noch ein letztes Mal.« Der Mucki-Frosch schritt mit bedrohlichem Blick auf die Rowdys zu. »Ich weiß nicht, wie oft ich das schon gesagt habe. Auf der Waldseite des Feldes sind überall Kameras und Sensoren angebracht. Ihr seid entdeckt, bevor ihr auch nur einen Fuß aus dem Wald gesetzt habt. So funktioniert das einfach nicht. Ihr müsst das Feld von der Straßenseite übernehmen. Da ist es euch schutzlos ausgeliefert. Die Menschen werden erst im Morgengrauen sehen, was in er Nacht passiert ist. Merkt euch das endlich.«
Die Wildschweine nickten verlegen und machten sich verschüchtert auf den Weg zur Straße, während der Mucki-Frosch seinen Gleiter bestieg.
»Auch die größten Rowdys sind wie kleine Kinder. Sie haben noch so viel zu lernen.«
Bevor er sich auf seinem Platz niederließ, verstaute er eine Tasche mit Maiskolben. »Was hältst du von einem Kinoabend im Wohnzimmer? Es gibt Popcorn.«
Der Storch gab Gas, lachte und nickte. »Mr. President wird es nicht schaden, wenn er mal Erdnüsse essen muss. Abwechslung tut jedem gut.
(c) 2023, Marco Wittler
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